Sechsundfünfzig (Mädchen am Bach)
Die alte Pappel neigt sich über die Wiege des Abends. Ein zerbrochener Waschtisch, darüber angeschwemmt der Streifen Wildwuchs jenseits des Gartenzauns. Riesenaugen magerer Mädchen, gefangen in Labyrinthen aus Schultagen. Aus der Bahnunterführung Knattern eines Mopeds. Wie die Hecke einen Bogen macht. Das Haus, vertäut an langer Leine, treibt einsam den Lichtern der Straße zu.
Immer noch ein Stückchen weiter: eine Scholle, ein Feldstein, ein Stück Wurzel, mit der das Dunkel sich an den Boden heftet. Das Gesicht eines Alten, schimmernde Züge in verwitterter Borke. Ein Vogel fliegt auf, zieht alle Linien aus dem Stamm. Flackernd mal die Dämmerung Spuren über die Fersen von Gummistiefeln. Die Augen treiben im Bach dem Mond zu. Reiher stehen, wo die Kinder am Nachmittag verschwunden sind, die Farben ihrer Mützen dämmern in einem alten Dachsbau. Die Mädchen äugen nach den mächtigeren Vögeln. Sie zeigen einander das spröde Haar, die harten Nasen, die Schatten unter den Augen. Sie zeigen sich dem Abend wie Füchse. Die Augen schweben und ziehen Wolken in Büscheln herunter. Es ist Abend, die Spiegelungen sind dünn und leicht zu verwirbeln. Der Bach krümmt sich, um einen Blick auf die Mädchen zu erhaschen. Eine von ihnen will endlich wissen, wie das ist, streift sich die Stiefel von den Füßen, bietet ihre bloße, schmale Haut den andern dar wie ein Geheimnis, taucht den Fuß in den schlammigen Bach, wackelt mit den Zehen, wie eine Schnecke ihre Fühler in die Luft streckt. Die andern sind unangenehm berührt. In ihrer Mitte zappelt das rote Fleisch wie ein Opfertier. Sie stehen im Kreis und sehen aneinander vorbei. Eine wird nachher nicht nach Hause kommen, wird nie mehr gefunden werden, nichts von ihr, die Stiefel nicht, ihr Fell nicht, nicht einmal eine eingekerbte Linie in einem alten Stück Schwemmholz. Obwohl das doch möglich wäre. Noch stehen sie herum, ihr Atem weiß und sauber wie Baumwolle in der schrumpfenden Luft. Die mageren Hüftknochen in den engen Jeans markieren die harte Dämmerungslinie. Traumverloren ziehen sie mit den Nägeln Spuren in den Schlamm, dessen Geruch ihnen wie Blut in die Nase dampft.
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Last modified: 06.02.20, 10:44
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Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer
weiss
erkennt
kalendarische
kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume
Aus der Erde Grund
Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen.
Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren
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