Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Mittwoch, 17. Juni 2015
Hundertachtundsechzig (Froschkönig)

im Schatten der scharfen
Binsen hockt, geschwollen von
Blicken, ein riesiger Frosch
im Innern seiner gelben Stimme.

Aus der Hitze des Wegs
taucht die staubige Luft
die Stirn ins trübkalte
Wasser, das sprudelt von Nachwuchs.

Die Finger der Lilien halten
den Spiegel offen. Gestaut
drängt sich das Grün
um die Farbe von Küssen.

Ein Sonnenhalm steht
bis zum Knöchel im Wasser.
Ein Stein schnappt nach Luft, Nymphaea
läßt die weiche Tiefe nicht hinauf.

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Dienstag, 16. Juni 2015
Hundertsiebenundsechzig (Nochmal Fasan)

Wie eine alte Schranktür
geöffnet zum Staub am unteren
Ende der Stunden.

Ein zerfressenes Scharnier,
in dem sich die Frühe mühsam
weiterdreht.

Und weiter: Immer noch weiter
entfernt als die Hecke, wo man
es vermutet, ein Uhrwerk,
vergraben in einer vergessen
geglaubten Ecke des Morgens.

Die Wege warten still
aufs nächste Knarren, das
für Stunden ausbleiben

wird oder auch nicht. Jede Hecke
zeigt auf die andern. Wir
haben es nicht gesehen.

Ein Klang vom Grund her,
aus den losen Enden von Schatten,
die das Licht nie berührt, lauthals
wie ausgesetzte Kinder am Ende
von Straßen. Hinter allen Hinterseiten.

Gekrächz von Steinen.

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Montag, 15. Juni 2015
Hundertsechsundsechzig (Kirschzweig, Oleander, Kiesbett)

Am Morgen kratzt der Kirschbaum
hinter der Wand Morsewörter.

Vor dem Bett Kleiderbündel. Skulpturen
ohne Stirnen, die Augen stehen jenseits der Luft.

Die Zeitung starrt übern Tisch,
die Buchstaben gesenkt wie traurige
Wimpern.

Aus dem trockenen Bachbett rutscht
ein Laken aus Kies und Schäben.

Der Oleander auf der Terrasse zeichnet
an den Himmel rote Siegelspuren.

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Sonntag, 14. Juni 2015
Hunderfünfundsechzig (Heide)

Die Felder navigieren nach
Rispenstand die Wege rollen
weich wie greise Wolkenwangen
indes ein Rind am dürren Hügel nagt
so leicht ist der Acker der Mond
vergräbt Speere
in weiten Schalen wartet der Wind
auf Segel die Steine liegen
gegens Licht mit allem
Gewicht auf ihrem hellen Hort.

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Samstag, 13. Juni 2015
Hundertvierundsechzig (Fund)

Die Uhren zeigen alle einen frühern Morgen.
Die Stunden liegen ferne allen Stunden.
Im Kreise gehen Bäume, Wasserläufer
stammeln Vokabeln, windgefunden.

Das Rebhuhn wartet hinter seinem Schweigen
gleich einem Wort, zur Unzeit ausgesprochen.
Kalender hüten sorgsam alte Vogelreime
wie eine dunkle Truhe Spielzeugreigen.

Ich bücke mich nach Böschungen und greife
das Armband eines kleinen Mädchens; bunt
und wie ein Filzstiftklecks auf einer alten

Karte liegt es am Weg, verloren. Träume
von Blut und Kaugummi. Es wäre, wie den Haarschopf halten,
die Uhren voller Schorf, um Finger Knotensäume.

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Freitag, 12. Juni 2015
Hundertdreiundsechzig (Rebhuhn)

Es liegt verborgen auf der Rückseite
seiner Einsamkeit.

In stummen Sassen ruht es,
wo das Wasser
Farbe aus den Auen schwemmt,
hinter Vogelblindheiten.

Wo der Fluß auf einem Bein
in der Ebbe steht, hinter durstigen
Weiden Kieselaugen blinzeln:

zeigt es sich nicht. Es hockt,
wo jeder Blick in Flammen aufgeht
an der Schläfrigkeit des Weizens.

In Mulden ducken sich
Ackerfurchen vor seinem traurigen
Schnabel. Auf der Unterseite
des Stroms spiegeln sich
die wunderbaren Schleppen, rot und gekrümmt
wie Dolche.

Plötzlich wächst dem Tag ein falsches
Ende aus der Knospe eines Schusses. Der Strom
trägt ein schreckliches
Bild ans andere Ufer, wo
Pappeln sich auf die Zehenspitzen stellen.

Eine Feder ruht
in der leeren Hand des Morgens.
Hinter Halmen
schreien die Steine vor Durst.

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Donnerstag, 11. Juni 2015
Hundertzweiundsechzig (Wie das geht)

Sie würd so gerne, sagt sie mir, „bewahren,
was gestern schön war.“ – Die an diesem Morgen
schön ist wie immer, sitzt jetzt angezogen
am Bett, die Augen fern wie Puppenspiele,

und schaut mich an, die Blicke schon entwurzelt:
Die Zeit vergeht. Licht steht in Kübeln, Straßen
beginnen gleich am Tor. Ein Buchfink trillert.
Auf meiner nackten Brust liegt ihre Hand.

Dann muß sie los. Die feuchten Decken muten
noch eine Weile warm an. Wie die Lippen
von ihrem letzten Kuß noch stärker bluten.

Wie man das Schöne in die Dauer schreibt:
Ich wüßte, wie das geht. Wenn ich es sage,
ist sie schon vor der Tür. „Indem man bleibt.“

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Mittwoch, 10. Juni 2015
Hunderteinundsechzig (Morgen mit Spinne)

Ein blaugrauer Morgen, glatt und feucht
wie ein hohles Taubenei.

Ich reiße die Fenster in Placken
auf und lasse säckeweise
zirpende Luft ins Zimmer.

Nackt koche ich den Kaffee, mit nichts
als meinem verstörten Blick bekleidet
und einer frischgeschlüpften Spinne.

Gleichgültig schaut mir die Mauer gegenüber
zu mit Birkenaugen.

Der Morgen legt Haut um Haut ab.
Himmelslappen wickeln sich um Fahnenmasten.
Die Straßen seufzen im langen
Atem der Schatten.

Die Stadt räkelt sich leise.
Der Sonntag reicht bis zum Horizont.

Ich werfe die Spinne in die Sonne
vorm Haus. Mein Ohr wächst in die Windungen
der frühesten Glocken wie eine Schnecke
zurück ins Gehäuse.

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Dienstag, 9. Juni 2015
Hundertsechzig (Tierblick)

Was blicklos war und stumm in seinem grauen
Nach-innen-Sein, das leiht sich einen Blick
auf Beinen, und das Tier, scheu witternd, zeigt sich
als Mitte allen Walds, der sich im Schauen

gebündelt hat. Und das bist du und nochmal,
als gäb’s dich zweimal: Du. Dein eigner Blick,
verwandelt im Begegnen und an Brauen
als Ahnung über dich dir selbst zurückgeschenkt.

Nur ein paar Meter, überwindlich aber
allein durch diesen Fokus, wo zu halten
du glaubst und bist doch selbst da festgezwungen,

nicht mehr alleine hinter deinen Augen,
nicht, wer du warst. Denn in dem fremden Walten
bist du, dir fremd, was fremder Blick aus dir gewrungen.

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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