Hundertfünfzig (Fischteich)
Als die Wolken den Teich
umstellen, schluckt ein riesiger
Karpfen die Sonne. Das Schilf fröstelt wie Speere.
Vögel verschlucken einen Schrei. Alle Spiegelungen fliehen an Land,
wo die Wurzeln sich krümmen im Moos. Eine Flosse stößt an den Horizont.
Der Himmel schlägt Wellen.
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Hundertneunundvierzig (Warten, gehen, warten)
Der Kalender verliert
keinen einzigen seiner Tage.
Vor dem Zeiger kuschen
die Ziffern. Die Luft zählt die Vögel ab
Schwinge für Schwinge
in schwarzen Zahlen. Zäune pferchen den Acker ein.
Bäume drücken ihren Schatten zu Boden. Der Horizont schenkt dem Himmel
nicht einen einzigen Fels. Soundsoviele Schritte sind es
bis zu den Siebenmeilen.
Nicht mehr, nicht weniger.
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Hundertachtundvierzig (Spinnen)
So kann man aus lauter
Beinen und nichts
als Beinen bestehen. Was braucht es
einen Leibe, nichts weiter als
ein Wille, der Wimmelndes zum Bündel zarter Schwingen schnürt, daß Bäusche
mehr zu schweben scheinen
als zu laufen, mit nichts
als einem müden Schatten als
Kissen, das sie trägt
Von Dämmerung zu staubiger
Dämmerung, als wäre
die Luft verwittert. Winkel erzeugen immer wieder ihr junges
Zucken aus trübem
Staub, gepaart mit Dunkelheit.
Sie vernähen die Lücken
im Gewebe greiser Hölzer, halten
die Blumen auf traurigen
Tassen fest, weben Spiegel
auf einsame Fensterscheiben. Ihr eigener Schatten lockt sie
unwiderstehlich über die Zimmerdecke,
sie schweben an Lichthaken vor Wänden
wie verlorengegangene Buchtitel. Nachts verwandelt das Fenster
ihre transparenten Gelenke
in Mondlicht, das freundlich
das leere Zimmer auf Träume prüft.
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Hundertsiebenundvierzig (Dianthus cartusianorum)
Sie schweben gleich festlich geschminkten
Mamillen in den hartblauen, tiefen Stillen
überm Fels. Zärtliche Spuren
einer sonnenhaften Regung in den Lüften. Als hätte hier ein windgebautes Wesen
den Abdruck eines Kusses hinterlassen,
aus Wind und Luft in Farbe abgestreift
an Halmen, Schatten, gesproßt aus Klüften hoch über Schiffen, die nur Fahnen sehen.
Am Schleifsaum schneller Stiefel, schneller Blicke,
und nur geahnt, als könnte Farbe rascheln, als löste Farbe sich aus fernen Bojendüften,
um dann, wenn Dämmerungen Farb um Farbe löschen,
gehoben erst von Schwarz noch in der Nacht zu schweben.
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Hundertsechsundvierzig (Kölner Bucht)
Die Strecken sind wankelmütig.
Meilen verlachen den fernen Berg.
Winkel graben den Finger ins Feld.
Ihr Stolz verachtet Straßen und Signale. Blickstau in blanken
Pfützen, leergewischt, unruhig
wie gesprungene Teller. Im Himmelsspiegel sieht sich das Land
selbst in die Zeilen. Täler strecken die Hand
in Taschen voller Kiesel. Fahnen geben
der Luft die Richtung vor. Gepfercht zwischen den Banden des Horizonts
stromern die Bäume, suchen Antennen
und Masten das Weite, das sie immer
wieder zurückwirft in ihren eigenen Text. Unentrinnbar, wie auf einem Spielbrett,
aufgestellt nach den Regeln der Wolken.
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Hunderfünfundvierzig (Ovidische Verse)
Und jeden Abend noch ein paar Zeilen
Ovid.
Blöcke einer uralten Sprache,
unverrückbare Monumente, geschliffen,
unverwitterte Erinnerungen verwitterter
Stirnen und so frisch, daß sie bei jedem Lesen
neu funkelnd wie eben erst erinnert
einer ganz jungen Stirn.
Sätze, so streng gebaut, daß man sie
vorwärts wie rückwärts lesen kann,
jedes Wort sein eigenes Juwel im
dunklen Samt des Textes. Wörter
wie Wächter eines Geheimnisses,
das auf sich zeigt, aber
sich nie ganz enthüllt. Manchmal
ein dunkler Sinn, ein Schimmern von Messing
und Gold, marmorne Augen, die Tiefe
eines Raums hinter blinden Scheiben.
Zuweilen ein einzelnes Verb,
das über den Abgrund
von zweitausend Jahren ruft, eine
Stimme aus dem Nichts, an jemanden
gerichtet, der mir über die Schulter
schaut, ein Wesen, das der Text
behauptet aber nicht beweisen kann.
Die Folge von Wörtern, eins
das andere führend und geführt
vom nächsten, ein Kaleidoskop,
Spiegel in Spiegel gestellt, eine
unendliche Reihe von Gestalten und Jahren.
Ich lese, und der Text schaut an mir vorbei, vielleicht
in eine Zukunft, so tief, wie die Vergangenheit
der Wörter und unauslotbar, von dort
sich zu finden als eine ebenbürtige
Vergangenheit?
Der Text braucht mich nicht. Er
schaut mich an wie eine scheue
Nebengottheit, sich selbst genug, die Augen
fest verwurzelt am Grund der Jahrhunderte.
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Hundertvierundvierzig (Wein im Sand)
Nächte noch ruhen im Ohr, da verzweigt sich die Frühe in Stimmen.
Schon füllt zahlreich das Schilf, was wie ein Prinz bei sich war.
Schiffe befahren den Rand von leuchtend beschnittenen Lidern.
Was sich als Siegel prägt, halten die Muscheln geheim.
Wein verdurstet im Sand. Der Einsamkeit wachsen die Zehen.
Kannte dein Mund nicht das Meer? Schweigend steigt wieder die Flut.
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Hundertdreiundvierzig (Frühe im Frühling)
Aus der Frühe treten die Bäume
wie vorlaufende Uhrenzeiger Grünes und Wirres bleibt hängen
am Weg, wo die Stimmen Farben mahlen. Im Kiesgeschiebe räkeln sich
nasse Silberrinnen Verklebte Wimpern blinzeln
ins feuchte Licht, an dem
die Fliegen weben Nägel ritzen Marklinien in
ferne Bezirke der Haut Immer wieder rutscht ein Kuckucksruf
aus der geschlossenen Faust Im langen Morgen verteilen sich
weithin die Atemzüge
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Hundertzweiundvierzig (Morgen im Sommer)
Zögernd die Spiegel auf dem Parkett,
wie vornehme Damen, skeptisch, ob
sie sich niederlassen sollen
auf dem ungehobelten Tag. Die Bäume reichen das Licht
weiter von Krone zu Krone.
Mit Pferd und Kutsche geht
der Morgen im Kreis. Häuser sind eine ganze Nacht
gewandert. Jetzt ruhen sie
in der Sonne mit geschlossenen Lidern. Gemächlich erheben sich die Bäume
schütteln ihr Grün auf, kichern
von Vögeln. Die Damen indes warten nicht
auf Kaffee. Stumm haben sie sich
erhoben, leises Rascheln
von Säumen, unhörbar fallen
die weichen Schatten ins Schloß. In der gähnenden Küche summt der Kühlschrank
mit einem feinen Herz aus Torte.
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