Hunderteinundvierzig (Unser Haus)
Lange bewohnen wir schon dein Haus hinterm Wald auf dem Hügel.
Nennen unser ein Bett, essen vom selben Geschirr.
Lange beschirmen uns schon die Wände, die du geschmückt hast,
Jahre schon kennt uns das Tal, birgt uns dein Wald vor der Welt,
schützt uns dein Dach, und dein Fenster bringt unsere Blicke zusammen,
Und, wie dein Spiegel den Kuß, weiß vom Geheimnis die Tür.
Nachts läßt wie einen Wald dein Zimmer Hallen uns wachsen,
und vom Gestirn einen Glanz legt uns dein Dach auf die Stirn.
Schon ist dein Haus unser Haus, schon kennt uns der Herd nur gemeinsam.
So wie wir wuchsen ins Haus, wuchs dieses Haus auch in uns.
Wollt ich, wie's dunkle Stunden manchmal mir flüstern, verlassen,
was uns so freundlich umfängt, unser gemeinsames Heim:
wohl könnt ich wandern hinaus, doch wäre damit nichts gewonnen:
aus mir selber zuerst müßt ich mich reißen heraus.
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Hundertvierzig (Abend mit Losen)
Auf den gebeugten Rücken der Pflücker
ruht das Licht sich aus. In der Tiefe des Felds drehen sich
die Windräder wie träge Peitschen. Weithin hallende Schläge, scharf
wie Befehle. Ein Pfad windet sich
um den frischen Pfahl im Fleisch. Rabenschnäbel hacken ein Ohr
aus dem zerbrochenen Krug.
Die Weide spuckt einen rostigen
Nagel aus. Wo die Sonne sich in Schweigen
hüllt, pressen die Zäune ein blutiges
Horn aus dem geschundenen Acker. Auf dem langen Heimweg liegen
abgebrochene Stöckchen am Grund
wie vergessene Lose. Unter der eingestürzten Mauer
leuchten die Nelken
wie Wundmale in der Hand der Dämmerung.
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Hundertneununddreißig (Vorm Aufwachen)
Gut liegt es sich am Kopfende
der Hügel, wo die Elstern
nach tauben Ohren tauchen. Wolken hängen
wie Pelz im salzigen Nacken. In den Fenstergründen schwimmt
das Licht. Der Kleiderständer
zweigt eine Frühe ab aus seinem Korallenherz.
Vorm Bett treiben entlegene Inseln.
Zwei Fußpaare wurzeln wie nasse
Weiden im Strudelgrund. Die Stille bleibt wie ein scheuer
Vogel in der offenen Hand.
Zwischen zwei Taubenrufe paßt
ein ganzer Morgen.
Wenn man nur lang genug den Atem
anhält, kommt die See
bis zu den Lippen, und Haut
ist genug für zwei.
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Hundertachtunddreißig (Sprechen, deinen Namen)
Erst spricht schlaflos mein Mund des Nachts deinen Namen ins Dunkel.
Später, im Dunkel des Traums, spricht mir dein Name den Mund.
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Hundertsiebenunddreißig (Rheintal)
Das ganze Tal im Schlepptau,
eine Kolonne aus Hügeln und
Hängen, so ziehen die schweren
Schiffe das Land stromauf. Die Wege nehmen ab
und zu wie Monde. Was als
Vogel auszog gegen den Strom,
kehrt abends als Kirche wieder.
Alle Kreuzungen enden irgendwo
in einem kupfernen Turm. Der Abend schüttelt einen Sack
Vögel aus überm Ufer.
Im Wasser lächelt eine versilberte Stirn. Die Schiffe ziehen die Hügel
an Land. Die Bäume senken sich
wie Staub übers Werth. Jenseits der Möwenschwinge
öffnen sich die Täler wie uralte
Märchenbücher. Ein Kiesel findet sich nachts
in der Tasche,
wie ein fremdes Auge im Traum.
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Hundertsechsunddreißig (Türen)
Jede Tür mit ihrer eigenen Art
Dunkelheit im Anschlag. Eine Dunkelheit aus geschmolzenem
Wachs hinterm Kirchenportal. Stufen,
die ihr Licht an der Säule abgeben,
ehe sie es eintauschen für Kerze
und Buntglas. Hoftore mit ihren felsigen
Jahrhunderten im weiten
Ärmel. Wo das Licht geduldig
im Schlamm wartet, glitzern
Schäben wie Schweiß in der Luft.
Regsam arbeitet das Dunkel
hinter dem geschundenen Stein. Eine Tür im Amtsgebäude, der Spalt
wie ein Finger vor den Lippen.
Die Klinke ruht in ernstem
Schimmer wie ein Paragraphenzeichen
vor dem Gesetzestext. In manchen Schlüssellöchern
könnten Vögel nisten, so winzig
sind sie, so versteckt, so verlassen
an ihrem luftigen Ort vor dem Speicher,
benachbart den Glocken. Nicht offen, nicht geschlossen,
unentschieden zwischen zwei
Gedanken, die Tür, die den Abschied
sah in der Morgenfrühe. Jetzt steht
sie offen den Fliegen und Spinnen. Gegenüber das helle Fenster, darin
die Frau, die sich zügig auszieht, dann
verschwindet hinter der Tür, die nun
mehr weiß als alle Beobachter. Stumm bewacht sie
das Licht im verlassenen Zimmer. Der Eingang zur Kellertreppe, wo der schwache
Lampenschein sich erst bücken muß und dann feige
zurückbleibt, kaum daß die erste Stufe
heraufspringt: Als habe sie tagelang auf der Lauer
gelegen hinterm Bretterverschlag,
wie eine steinerne Schlange. Und die Türen im Hotelzimmer, Tür an Tür
in einer fremden Stadt voller Türen, wissen
von nichts. Abends neigen sie sich im kalten
Rahmen wie eine müde Stirn. Wächter
verpfändeter Zeit. Im Pol der Angel
wendet sich der kurze Tag zu wieder einer,
zu einer niemals erreichten Tür: Für eine
Nacht bist du mein.
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Hundertfünfunddreißig (Vogelei)
Zerbrochen liegt es
am Wegrand, zieht mit seinen scharfen
Scharten aus Farbe
Kratzer in die Dämmerung, gewölbt
um eine unaussprechliche
Erinnerung der Nacht. Nichts fängt diese Farbe auf,
als schwebe die Scherbe überm Nadelkissen
des Wegs, wie eine fremde Münze im Portmonnaie. Es zieht eine Grenze allen Stimmen, schafft
einen Bannkreis des Schweigens, wo die Farbe
bei sich bleibt, ihrer selbst gedenkend,
sich selbst betrachtend. Als hätte ein Kind in ein fertiges
Gemälde einen Farbklecks gesetzt:
Gepfuscht und doch in sich lückenlos,
vollkommen. Wie die Rückseite eines Auges, das
aufwärts schaut, in die Wipfel der erwachenden
Bäume. Als erblickte man einen Farb
Splitter, den der Himmel
beim Steigen
im Morgen verlor.
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Hundertvierunddreißig (Tag danach)
Überm Stuhl das Handtuch von gestern.
Der Kaffee hockt mit den Küstenlinien
vom Abend allein am Tisch.
Die Taschen sind steif von gelben
Sanden. Im Kessel klirren Muscheln.
Ein Haar geht fremd zwischen den Seiten. In der Hängematte eines Sonnenstreifs
ruht sich der Morgen aus. Ein Weinfleck
auf dem Wachstuch krümmt sich
lichtscheu wie ein Gaunerzinken.
Aus dem Handtuch fallen lauter Münzen.
Deine Braue, von Stunde zu Stunde,
ist ein abnehmender Mond.
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Hundertdreiunddreißig (Morgen mit Fenster)
und der tag im gedanken
des offenen fensters –
häusergiebel, vorgartenlorbeer,
amselschnabel, tonnen, gedreht
in der müden achse, flimmernd
und im echo von schritten,
denen alles nachblickt, spiegel
in den scheiben
in den spiegeln im gegenüberliegenden
haus, sehend hinter der eigenen
blindheit, wie kritische
verwandte, mit ihren eigenen bildern,
mit ihrem eigenen Himmel, ihrem
eigenen stück straße, rechthaberisch,
störrisch, einander jeden vogel neidend,
der sich etwa verfängt im haschenden rahmen.
und dazwischen, zwischen allen
spiegeln, hin- und hergeworfen,
ein gesicht, das sich schon
wegdreht in den tag und den raum,
keine zeit, mir selbst noch
zuzublinzeln, das glas leert alle spiegel aus,
die kirsche erstarrt in lautlosigkeit,
und drüben glotzen die türen,
dunkel und verschlossen, jede schwelle
ihr eigener schmallippiger horizont.
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