Hundertzweiunddreißig (Raps)
Er preßt sein Gelb noch in die tiefsten Spalten
des Augensinns, er brennt wie Farbencurry
die Brauen, flammt wie wütende Signale
von Hügeln her, aus Tälern, Flächen, Auen, darin die Ferne Farbe sammelt. Und was näher,
genau betrachtet, schmal und viergestrahlt,
ins bleiche Einzelne zerfällt, das ballt
vereinigt Blatt an Blatt die gelben Fäuste und tränkt die Luft mit Lack, mit Lack die Matten,
rafft Raum an sich und zapft von Weg und Wiesen
das Licht ab, daß im totgebrüllten Schatten nichts Farbiges mehr lebt, was in den Strudel
gelangt ist solcher Unersättlichkeit.
Rings hält ein trüber Schleim den Atem an, als wär die müde Luft zu Quark geronnen.
So wird die Farbe riechbar, klebt am Gaumen,
strahlt laut wie Schall, ermüdet alle Sonnen.
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Hunderteinunddreißig (Bussard)
Wie er sich erhebt, wie die Schatten
von ihm ablassen, wie sich das Gewirr
am Grund in Vogel und
Nichtvogel trennt, wie Nichtvogel unten
bleibt, und Vogel die Schwingen öffnet
wie ein gewaltiges Tor zur Luft, weit, so
weit, daß der Weg sich duckt;
wie Vogel dann alles
was ihn daran hindert, Vogel
zu sein, von sich abstößt, Grund,
Ackerfurche, Baumreihe, Gestrüpp, schwankende
Grabenlinie, Horizont, schließlich
den Himmel selbst lässig, siegessicher
von sich abwirft wie ein Ringer das Tuch:
ist er größer als groß, ist er größer
als er selbst, ist er anders
groß als irgendetwas sonst groß
sein kann. Selbst sein Schatten,
der ihm noch eine Weile
nachläuft, wird immer kleiner
und kleiner, bleibt
zurück, verliert sich, eine schmale,
schwarze Sichel
zwischen den schrumpfenden
Horizonten.
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Hundertdreißig (Treue)
Komme dir, wen du auch liebst, ich bitt dich, nicht selber abhanden!
Bleibst du dir selber nur treu, brauchst du es mir nicht zu sein.
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Hundertneunundzwanzig (Zueinander schlafen)
Die Elstern stürzen aus allen
Landkarten, am Morgen, wenn
das Pergament noch nicht
aufgefaltet ist. Die Wolken
grübeln über die unbekannten Namen
der Luft. Ungerührt ziehen die Wälder
ihre alten Netze ein. Wir aber bleiben liegen, bis im Morgen
die Farben trocken sind. Bevor
die Bilder im Spiegel erwachen,
dämmern die Vögel. Du drehst dich
in deinem dünnen Tag. Das Fenster
wendet sich ab und läßt uns
zueinander schlafen, weglos.
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Hundertachtundzwanzig (Vor dem Erwachen, Wale)
An silbernen Brüsten schlafend das Land,
vom Mond hängend Kirschaugen,
die Glocken wie Möwen im
fernen Wogen von Tag,
und wir, zwei Wale, träge
schwebend im Meer hinter unseren Lidern.
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Hundertsiebenundzwanzig (Provinz)
Sie schwanken wie Halme bei jedem
Anfahren, bei jedem Bremsen,
sie schwanken, als trügen sie
schwer unter ihren Blicken, verbissen
damit beschäftigt, nur Leute zu sein.
Jeder einen Sack Nasen im Gepäck, Gesichter
wie gechlossene Briefschlitze. Sich anklammernd an die
Haltestangen wie an Käfigstäbe,
starren sie hinaus ins Land,
wie auf etwas,
das sie gerne noch
verhindert hätten. Draußen gibt es nach allen
Seiten nur eine einzige Richtung.
Erleichtert legen sie beim Aussteigen
ihr Gesicht wieder auf, stopfen sich schnell
eine Portion Wind in die Tasche, lachen
darüber, daß sie wieder sie selbst sind. Spärlich die Ortsschilder.
Zu Boden blickend wie Büßer,
tragen sie ihren Namen
wie eine Sünde vor sich her. Ein Spielplatz denkt an Kindertage
zurück. Wind aus den Tiefen
der Hecken läßt die Schaukel
schwingen. Die rostige Wippe
zählt Regentropfen. Noch ein Halt unter freiem
Himmel, wo nur ein Feldweg wartet.
Die Haltestellen wollen
endlich mitgenommen werden. Äcker
drängen sich um einen
trockenen Unterstand. An einem
Zaun bleibt ein Fetzen
Gegend hängen im nächsten Sturm.
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Hundertsechsundzwanzig (Abend nach dem Wandern)
Sieben Meilen zählt noch das Licht. Die Dörfer
schlagen sich schon auf die Seite des Abends.
Einarmig stützt sich der Himmel auf einen
Rasenfleck, fern, hoch oben, wo
es eng wird von Aussichten, nur einen
Atmezug von den Vögeln
entfernt, wo das Land fliegen übt.
In einem Kreis aus Kranichstimmen hält
der Horizont die Hand auf, und die Hügel
lassen sich darauf nieder, mühelos, wie alte
Yogameister.
Die Sonne streckt eine Feder übers Ufer,
und das Wasser richtet sich daran auf, schnappt
nach Schatten, schlägt
Wurzeln im Wind, und das Licht
zieht die Stiefel aus, denkt sich etwas
aus Samt, macht sich
auf Zehenspitzen davon.
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Hundertfünfundzwanzig (Wolke)
Sie ziehen so langsam, als wollte ein Gemälde den Betrachter überlisten. Als hätten die Linien, die Farben, die Flächen noch ein Drittes gefunden, zwischen Bewegung und Stillstand, einen ganz neuen Gedanken, Wolke zu sein. So wie ein Atemzug strömt und doch nirgends hinkommt. Wie ein Blick fällt und doch beim Betrachter bleibt. Wenn du aufblickst von dem Gesicht, das du küssen wolltest, ist es, als käme die Wolke noch einmal an den Ort zurück, den sie noch gar nicht verlassen hat. Ein SChwarm Vögel zieht vorbei. Ein Kirchturm gleitet davon und läßt die Wolke stehen. Unterdessen liegt das Land ringsum aufgekratzt, fahrig und leer, wartet auf Schatten.
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Hundertvierundzwanzig (Wollgras, Pusteblume etc.)
Als wäre ein Irrtum im Augenwinkel
beim Blinzeln einfach stehengeblieben. Eine Handvoll Bausch, der alles
mögliche sein mochte, Pinsel,
Kobold, Spinne, schauerlich süß
in seinem Anderssein. Am Rand der Augenwelt, als blinzelte
da was zurück, wie ein Wort,
das beim Umblättern zwischen
den Seiten hängen blieb. Und nun, ins Licht gestreut,
ein Pinselstrich, als schaute
die Luft kurz weg. Und das Licht hält einen Moment
den Atem an, läßt sie stehen, wo sie sind: Ein Trugbild, das den Trug betrog.
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Last modified: 06.02.20, 10:44
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Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer
weiss
erkennt
kalendarische
kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume
Aus der Erde Grund
Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen.
Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren
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