Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Freitag, 24. April 2015
Hundertvierzehn (Abend mit Blatt und Stein)

wenn die kraniche ablassen vom wasser
kehren die schatten zum bach zurück
am grund dunkeln sie die strudel
als hätten sie sich im wasser gelöst

baum lehnt an baum und trotzdem
bleibt raum für die tiefen
als hätten die winkel des stunden
kreises extragrade ausgetrieben

hinter dem unsichtbaren körper
der fliegen vergessen die sonnen
strahlen ihre bahn, verlieren
sich in der Geometrie
eines Wimpernschlags, kehren
zurück zur ruhe eines steins

auf der schneide eines buchenblatts
steht das licht
wie eine tänzerin auf dem seil

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Donnerstag, 23. April 2015
Hundertdreizehn (Wo unser Tag nie war)

Die Hügel noch wie Falten eines Tuchs,
noch nicht von Sonne glattgestrichen.
In Tümpeln treiben Bilder, freie Wesen,
von keinem wachen Auge abgespiegelt.

Die Vögel schweigen ihr Geheimnis aus,
in ihren Kehlen bleibt die Stunde stehen.
Die Schatten teilen sich den schmalen Raum.
Das Licht ist feucht, als regnete es Wimpern.

In Stiefeln steht das Dunkel wie in Pfützen.
Was gestern war, das ist schon Jahre her.
Man kann nicht aufhören zu schauen.

Nichts schaut zurück. Die Tümpel sind geschlossen,
die Spiegel umgewendet. Ich muß bleiben,
wo unser Tag nie war. Die Hügel blauen.

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Mittwoch, 22. April 2015
Hundertzwölf

Gelber Duft von Brot
im Leuchten der Brennessel
die Luft trägt Stacheln

Die Luft trägt Stacheln
unter dem Pelz der Sonne
Gänsehaut des Lichts

Gänsehaut des Lichts
wo das Eis zu Lippen schmilzt
die Vanille lacht

Die Vanille lacht
Fingerklettern am Rücken
Sprossen des Sommers

Sprossen des Sommers
Zwischen die Hüften geklemmt
gelber Duft von Brot

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Dienstag, 21. April 2015
Hundertelf (Mittagsfeld)

Der Trekker hängt an der Staubwolke
wie ein blitzender Knopf am wogenden
Kleid. Die Räder malen, pflügen
gelbes Licht unters Feld, graben
den Lärm mitsamt den Wurzeln aus.

An den Bäumen steht das Feld still,
ein Atemholen bleibt in Vogellungen.
Am Grund zirpt der Kalk
nach Steinen. Disteln bewehren
die Schatten mit leuchtenden Panzern.
Kiesel, in Sonne gefaßt, suchen ihre
verlorene steindunkle Mitte zwischen
den Pfeilen riesiger Äcker.

Keine Stimme geht verloren im
Gewölbe des Nachmittags. Am
Himmelsbogen bricht sich hunderfach
die Farbe des Vogelflugs.

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Montag, 20. April 2015
Hundertzehn (Abend ohne Huhn)

Jenseits der kühlen Mauer
steht gleich die Ferne
an. Wie Vögel, die Quartier
suchen, haben sich die Wolken
hinter die Hügel verzogen.
Die Straße strömt durch die
Fenster, Gartenstühle strecken die Beine
unter die Schatten aus.
Wie ein verschwitztes Hemd
hängt die Sonne mild in der Kastanie,
in deren Schatten Fliegen kleine
Nester aus Funkenflug knüpfen.
Kein Huhn weit und breit, im Staub
liegen Körner wie in einem Grab der Etrusker.
Im Hof brüllt der Hackklotz gegens Licht an.
Fern unter den Dächern des Tages
kreischt eine Säge Gefahr.

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Sonntag, 19. April 2015
Hundertneun (Lerchen)

Ein Steigen von Klang, an
Klang empor

gehangelt, wie Wasser im Brunnen
an Wasser aufsteigt

Im Labyrinth aus zartem Schall
überkreuzen sich alle

Richtungen zu einem zirpenden
Knoten, der überall gleich
hell ist.

Zwitschernd spinnen sie den
Morgen zu lauter Licht, bis

die Erde im Rücken Flügel
austreibt, der Himmel

durchsichtig wird und die
Luft dünner und dünner
und so leicht
zu atmen wie im Flug

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Samstag, 18. April 2015
Hundertacht (Kußblüte)

Im Kuß dein Blühen
Lichtrauschen hinter dem Lid
die Kirsche schaut weg.

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Freitag, 17. April 2015
Hundertsieben (Kiemenatmung)

Leise strandet der Schlaf
wie ein Wal an den Molluskensträngen
der Wurzeln.

Was vom Traum übrig
blieb, fällt wie ein geplündertes
Nest dem Häher vor den Schnabel.

Die steinerne Hüfte zerrieselt
zu Zucker. Kein Halt an der
Dünung des Dunkels. Im Zelt
weisen mich die hellen
Bojen deiner Augen unter
den Spiegel der Nacht.

In ruhiger Sammlung
übt der Wald Kiemenatmung

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Donnerstag, 16. April 2015
Hundertsechs (Feldzeilen)

Das Feld steht ausgeschrieben
von Rand zu Rand.
Die Zeilen sauber gezogen,
mit dem Klecks
des Amselschnabels in der Mitte.

Am Flattersatz der Raine
bricht der Wind nach nordwörtlich
um. Mit den Versalien
der Steine heben
einsilbige Wörter ein dunkles
Corpus aus der Tiefe des Felds.

Die Wolken beugen sich
zum spiegelnden Grund wie gelehrte
Greise übers Pult.
Leise schlagen die Seiten
um zum nächsten
Kapitel der Dämmerung.

Die Amsel tilgt den letzten Fehler
aus den Versen des Schweigens.
An den Gänsefüßchen
der Pappeln stockt
die Lesung des Lichts.

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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