Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Mittwoch, 15. April 2015
Hundertfünf (Kirschdämmerung)

wie eine zögernde Grenze,
wo zwei widersprüchliche Ideen
von Licht sich treffen, zwei getrennte
Gedächtnisse von Dämmerung.

Indem Tag und Nacht sich scheiden, eins
ins andere noch einmal
übertretend, ein flüchtiger
Irrtum des Lichts.

Wenn im Schwinden
sich die Farbe der Nachtluft
mit der aufgehenden
Farbe der Blüte kreuzt,

und du für einen schwebenden
Moment nicht weißt, was da blüht:

das matte Dunkel von weißer
Kirsche oder die matte Kirsche
von Dunkelheit, die samtweiß leuchtet.

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Dienstag, 14. April 2015
Hundertvier (Moselsteig)

Wir graben hohlwangige Birnen aus
bracher Erde, einen heiseren
Schatz des letzten Jahres.

Kühl wie Schneckenblut
läuft uns der Saft
über die rauhen Hände.

Scharbock auf der Zunge und Dreckmond
unterm Nagel, der Morgen
linst in den Ofenruß.

Von unseren Hüften bröckeln
die Wintersonnen. Winde
zucken die Achseln unter
deinem flusigen Arm.

Im Lee buschigen Raunens
machen wir in die
Pluderrosen, haltlos am keuschen
Harn gebaut.

Lachend schütteln wir
die Blätter aus dem Haar,
tasten uns nach jungen
Hörnern ab und stecken einander
einen Sonnenschnitz
an den heitersten Schlaf.

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Montag, 13. April 2015
Hundertdrei (Windräder)

bereit zum abflug, seit jahren
bereit, die motoren warmgelaufen
in erwartung auf den rechten
augenblick, die strömung, die thermik,
den günstigen wind.

sich nähernd den sitten
des himmels üben sie fleißig
wolken und schattenwurf.

als wollten sie sich auf dauer
zu ihren geschwadern gesellen,
strecken sie die gefesselten
schwingen nach den vögeln aus.

jeder schwung ein gerade noch
vereitelter abflug, indessen die säulen
immer schlanker werden, bis
nur noch ein dünnes Band
die rotoren hält, wie
gestraffte leinen
einen startklaren ballon.

während unten acker um acker
wimmelnd das land sich schart um
die summenden basen,
wie zurückgelassene
flüchtlinge sich
an den bootsrumpf klammern.

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Sonntag, 12. April 2015
Hundertzwei (Frühlingsfeier)

Lächelnd benagt der Lenz das Feld am salzigen Knöchel.
     Löckend wider das Blut reift in den Achseln der Mond.

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Samstag, 11. April 2015
Hunderteins (Morgen mit Apfel)

Bevor ich
Ich werden
kann, wird der Tag
Tag.

Stimme kommt
zu Stimmen. Schatten
halten ihr Maß. Licht
findet das passende
Ende von Licht.
Auf die Hügel legt
sich der Himmel wie Tau.

Wort um Wort ein Ruhen
allseits, so wird es Welt im
Zeichen.

Finger am kühlen Fenster,
unten die Apfelknospe
weiß schon alles, was

ich nicht wissen muß,
über Ich und Tag.

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Freitag, 10. April 2015
Hundert (Tonnen, Licht, Mücken Raben)

der himmel paßt
in keine tonne mehr
von licht gestopft sprengt
der glanz den bachlauf
daß die mücken in raserei
die schatten in fetzchen
reißen

tümpel verlieren
den halt an den schwankenden
säumen über die
ufer tretender wipfel.

sonne zerrt an den
kieseln, mit mühe
halten die wege das feld
fest am zappelnden grund

bedächtig einzig die raben
tragen splitter um
kohligen splitter
ins haus der dame
schwarz.

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Donnerstag, 9. April 2015
Neunundneunzig (Winternisse)

sonnenwinternisse
stürzen mondüber
ins gras

alle brillen von den
blüten gerutscht

der weißdorn
bricht Licht
vom Zaun.

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Mittwoch, 8. April 2015
Achtundneunzig (Moselsteig)

immer wieder kommt der strom
zum verabredeten ort. die
karten heben den schleier
von der burg

zwei käfer zählen die gäste
daß niemand abhanden kommt unterwegs

emsig holen die schiffe
ferne ufer an bord. an den schleusen
staut sich der rest des tages

wir leihen uns
einen nachmittag
von den erzählungen der lerchen

das licht aber wohnt stets in neuen
wohnungen und manchmal
am anderen ende von wörtern

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Dienstag, 7. April 2015
Siebenundneunzig (Überlieferung der Vögel)

Mit den striemen, den fäden,
den strecken, den angestrengten
strengen furchen arbeitet

der acker mit irdener hand
an der überlieferung der vögel

niederkunft der bewegung
die pfütze zwinkert federn
in den spalt zwischen spiegel

und spiegel wolken quellen
aus den kanälen
wie eingeweide des lichts

dornen zerkratzen die luft
der himmel lacht
mit vernähtem mund.

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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