Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Donnerstag, 19. März 2015
Achtundsiebzig (Voreifel, Frühling)

Äpfel, ein spätes Leuchten von Zucker auf frierender Zunge.
    Unter der Schale des Winds schmecken die Felder nach Dung.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Mittwoch, 18. März 2015
Siebenundsiebzig (Dein Schweigen)

Du, am Telephon. Ich höre dich sprechen, ich höre dich schweigen. Ich höre dich. Wie du schweigst. Dich: Es ist dein Schweigen, kein anderes hört sich so an wie deines. So nah, dieses Schweigen, als hättest du es irgendwie geschafft, durch die Muschel zu mir zu kommen, wo du gar nichts mehr zu sagen brauchtest. Du füllst mein Ohr mit deinem Schweigen. Und mein Ohr wächst und wächst um dein Schweigen herum. Du ruhst in meinem Hören wie Bilder in einem verhängten Spiegel. Ein Vogel ruft von jenseits des Zelts. Die Stille hat keinen Rand und keine Mitte. Geräusche ereignen sich irgendwo. Sie berühren dein Schweigen nicht. Dein Schweigen liegt auf der Stille wie Spiegelungen auf einem See liegen. Wir schweigen. Einvernehmlich, Seite an Seite schweigen wir, bis die Membranen sich auflösen, bis ich dein Schweigen bin und du mein ganzes Ohr.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Dienstag, 17. März 2015
Sechsundsiebzig (Schlehen, Strom, blinde Flecke)

Umbrüche zeigen sich in den Zeilen des Fluges.
Wo die Augen zum Halt kommen, ruhen
Wörter in Lichtbrachen.

Die Hecken drücken sich zu Tal
verlangend nach der Vielfalt der Finsternisse.
Die Schlehe blüht Salbe
ins Innere einer schwärenden Wunde.

Vogelleiber wie ein blinder Fleck
im Spiegel des Stroms.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Montag, 16. März 2015
Fünfundsiebzig (Dorf an der Ahr)

Der Fluß läßt den letzten Schlüssel wie ein Dieb
zwischen die Falten des Tals fallen.

Ins Fensterglas hält
der Kirchturm den brennenden Hahn.

Vor den Pforten sammelt sich die Fremde.
Die Häuser stehen voll Blut und Fett
wie die rohe Rückseite der Heimat.

Wenn die Nacht kommt, ziehen Pflüge
mit vereinten Kräften einen Hügel ins Dorf.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Sonntag, 15. März 2015
Vierundsiebzig (Breslauer Platz)

Im Schatten von Kathedralen
und Palästen, klein und fernab
der strengen Blicke
des Reiterdenkmals stehen sie in

der wimmelnden Weite des Platzes,
zu ihren Füßen Berge von Gepäck
wie verschliffenes Treibgut.

Den Blick schon woanders, halten
sie sich doch noch an den Händen,
gestrandete Fremde, einander
zwei Anker ohne Grund.

Beide ein Lächeln im Gesicht,
das der andre nicht sieht,
wie in der Mauernische des Doms
zwei Engel aus Stein,
Rücken an Rücken stehen, indes

über den beiden die Züge
davongleiten, flammend rot
wie riesige ferne Bojen.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Samstag, 14. März 2015
Dreiundsiebzig (Kölner Bucht)

Wo die Wiesen enden,
an den Hufen der letzten
Gäule, ziehen die Straßen den
Raum an sich, wacht die Flucht
rauchbewehrter Dächer, Burgen gleich,
und das Land marschiert,
abgeteilt nach den Ordnungen
von Straßen und Bahnen, in Reih
und GLied in die Börde hinaus,
zu Gewinnst und Dunst, bebend
vom Lärm wie von den Hämmern
der schmiedenden Zyklopen.

Blickauf und gegen die Strömung
des Flachen die scheuen
Wirrnisse der Hügel,
aufgefaltet im Morgenlicht
wie die härtenden Flügel
eines Falters. Amseln verstummen, Pferde
verschwinden wie Segel
im Dunst der Ferne, wo
zwischen den Flanken der Täler
ein Weg aus den Ordnungen
davonzieht, dünn und leicht
zu übersehen wie ein Ariadnefaden
ins Labyrinth.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Freitag, 13. März 2015
Zweiundsiebzig (Baugrund)

Der Kran schöpft mühsam Stille
aus der verlassenen Grube
wie ein nachdenklicher, alter Vogel.
Ein Zaun schirmt
gegen zudringlichen Blick
die Blöße der nackten Erde.
Im Umkreis Winden und Wicken.
Gips bleckt das schaumige
Maul im stumpfen
Blühen von Metall unterm Lot.
Von allen Füßen verlassene
Gummistiefel, wie leere
Schneckenhäuser, im welken
Gelb der Lampen.
Auf der Halde geborstene
Bruchsteine, jeder auf einer Seite
mit einem Fetzen Tapete beklebt,
wie ein senkrecht zu lösendes Puzzle.
Von der Liste gestrichen: die schwarzen
Fenster, hoch droben in der dunkelnden Luft.

... Link (2 Kommentare) ... Comment


Donnerstag, 12. März 2015
Einundsiebzig (Käferschriften)

Im brüchigen Wintergras
gestricheltes Zappeln
eines tintenschwarzen Käfers
quer zur Leserichtung der Halme.

Rauh wie antiker Papyrus
knistert das Tal, spröde,
von Gelenken und Klauen.

Wo die Hügel enden,
driften die Bäume ab in Wirrnisse,
die Wipfel einander ins Vergessen getaucht.

Vögel verschwinden hinter dem Bogen
wie Buchstaben über den Riß in der Seite.

Bachläufe, gespalten in Schatten
und Goldschnitt, ziehen Silber
von den Gipfeln zur Stromlinie ab.

Indessen am Grund die störrischen
Züge des Käfers sich spreizen.
Eine undeutbare Marginalie zu einem
immer wieder übermalten Text.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Mittwoch, 11. März 2015
Siebzig (Wege)

Längs der frühen Glocken marschieren die Felder zu Tage.
    Reuig der streunende Weg: kehrt zu den Schildern zurück.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Online for 3612 days
Last modified: 06.02.20, 10:44
Status
Sie sind nicht angemeldet
Main Menu
Suche
Calendar
November 2024
So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.
12
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930
Januar
Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

RSS feed

Made with Antville
Helma Object Publisher