Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Dienstag, 10. März 2015
Neunundsechzig (Abend an der Ahr)

In der Dämmerung verschränken die Vögel
ihre verschiedenen Arten, zu schweigen.

Im Blau der Häherfeder offenbaren sich
tiefere Firnisse des Abends.

Der Tümpel zeichnet aus dem Gedächtnis
einen Kranichzug nach.

Eine letzte Schwinge entfernt sich
aus dem Himmelsviertel, wie ein Pinselstrich,
der sich selber löscht.

Zur Reihe schließt sich der Waldsaum,
wo eben die Bewegung eines Tiers
eine Lücke riß.

Eine kurze Entblößung, ehe die Zeichen
zurücksinken in ihre eigene Gestalt,
wahrhaftig wie Buchstaben, die auf dem Kopf stehen.

Nach dem Vorbild uralten
Diebesgesindels ziehen die Dohlen

Masken aus der Dunkelheit des Schlamms

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Montag, 9. März 2015
Achtundsechzig (Noch einmal Spinnen)

Ich sehe euch am Abend
zahllos überm Feld wimmelnde
Schatten, als entwirre die Dämmerung
graue Fadenknäuel, strichdünn, nur flimmernde
Grenzreiche zwischen Sehen und Blindheit.

Nachts spüre ich euch, ein Krabbeln
in der hohlen Hand, die sich um euch
öffnet wie die Erinnerung
an ein sandiges Glück im Frühling.

Fäden, ein Blinzeln des Windes,
zu schnell für das Träge von Brauen.
Aus den Schatten des Laubs
gefallen in die Prismen der Augen
Mosaike aus Nachtdunkel.

Morgens beim Erwachen ein Déjà-Vu
schlafender Wimpern, wenn eure Leiber
die Risse kitten und die Wand
heil wird, wo ihr versankt,
ein Puzzle, das, indem es sich selbst
löst, verschwindet.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Sonntag, 8. März 2015
Siebenundsechzig (Am See)

Die Schatten so tief: Werfen
die weichen Stämme der Buchen
an die Folie der Dämmerung.

Ein Ruhen von Licht überm Teich.
Im Verstummen des Winds zieht das Wasser
die Wipfel aus dem Gedächtnis an Land.

Da plötzlich ein Gekräusel: Ein fallender
Ast verflüssigt sich
in der Schwinge des Bussards.

Helle Aufregung. In den ätzenden
Schlägen der Amsel setzt
die Zeit wieder ein.

Bis ein Tropfen fällt
und den Himmel
glattstreicht unter dem See.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Samstag, 7. März 2015
Sechsundsechzig (Post-Tower)

Wie er sich in die Tiefe
drängt eines jeden Blicks,
spuckend auf Horizont und
Hügel, die Fernen umher-
schiebend wie lästige
Käfer, festgeschraubt
in seiner einzigen Dimension.

Noch die Namen:
Dransdorf, Alfter, Meß-
dorf, Venusberg
aus dem Bewußtsein tilgend,
um allein:
Tower, Tower, Tower,
zu herrschen, erhoben,
ein dunkler Sporn am Ende
aller Richtungen
wie ein von Technokraten
usurpiertes Kapitol.

Zuletzt noch nachts,
nie erlöschende Fackel,
aus den Fernen ins Nahe
gestrahlt, aufgepflanzt als
quälende Erinnerung
jeder träumenden Stirn.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Freitag, 6. März 2015
Fünfundsechzig (Spinnentraum)

Langsam bewegen sich die Spinnen
durch die Brandstätten der Träume.
Grau wie Ruß zappeln die drahtigen Körper
gleich winzigen Harfen aus Rauch
in den erloschenen Feuern. In ihren
Netze schwingen die Wasserzeichen
verkündeter Monde. Sie nähren sich
vom fetten Sternenlicht an den Horizonten
des Schlafs. Über verbrannten Buchseiten
wandeln sie mit ihren mageren Beinchen.
Leise und zart, im Zauberbann erloschener
Serifen, so gelehrig wie ein Windspiel
auf der Haut Liebender, daß
jedes Schriftzeichen, bebend auf der
Membran toter Asche, lesbar bleibt.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Donnerstag, 5. März 2015
Vierundsechzig (Tagelied)

Vor Tag drückt dein Finger der Stille
ein Siegel auf. Rückwärts laufen die Wörter,
kehren aus dem Traum
heim ins gemeinsame Schweigen. Seufzende

Schilfhaine, Baumwollwimpern, das Licht
schließt die zuckenden

Lider ums Fleisch. Wie die Kirsche
leuchtet auf der sterbenden Seite des Morgens.

Bevor eine Amsel sich unter deine Münzen
schmuggelt, holt sich die Nacht deine Augen.

Ich umklammere den Schlaf,
bis jede Knospe in den Stamm zurückwächst.

Blau hat schon vor Tag der Tag
von deinen Lippen geblüht.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Mittwoch, 4. März 2015
Dreiundsechzig (Mohn)

Die Blüte, knittrig und frisch wie
Geschenkpapier. Versuch
über Schmetterlinge. Enthüllt,
sich selbst verbergend, schlägt
Luftfinger ein in roten Batist.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Dienstag, 3. März 2015
Zweiundsechzig (Kirchturm)

Verlassen vom Mittag, sein Schatten
wie eine zu kurze Krücke, lehnt er
sanft am Gefälle der Stunden.

Achtsame Mitte des Vogelzugs,
eine Rast den Wolken. Einäugig
fängt sich sein Bild in den Spiegeln der Teiche.

Abends ruft er nach den Fernen,
die entlang der Ackerfurchen heranziehen
unter seine Braue.

Vor den Schlägen neigen sich die Horizonte
zum summenden Glockenstuhl, wie
träge Seehunde vor der Peitsche des Dompteurs.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Montag, 2. März 2015
Einundsechzig (Pendler)

Und jeden Morgen die Lichter
von Horizont zu Horizont
ziehend, Fahrkünste in die söligen
Schächte des tauben Morgens.

Unermüdlich zählen sie die Fernen
herunter, wickeln Kilometer um
Kilometer, ein Knäuel aus Strecken
wickeln endloses Garn auf die Spule
und kommen doch nie ans Ende der Fernen.

Glückliche Sisyphusse
spinnen sie emsig ein unerschöpfliches
Gold aus der Teufe der Meilen.

... Link (0 Kommentare) ... Comment


Online for 3612 days
Last modified: 06.02.20, 10:44
Status
Sie sind nicht angemeldet
Main Menu
Suche
Calendar
November 2024
So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.
12
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930
Januar
Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

RSS feed

Made with Antville
Helma Object Publisher