Zweiundvierzig (Hinterm Zaun)
Etwas lauert hinter diesem Drahtverhau. Rostige
Strähnen in der milden Abendluft. Der Weg
nimmt eine Faustvoll Steine und krümmt sich
ins Buschwerk, wo er verschwindet
aus dem Blick, wie ein Verräter zu beschlossenem
Verrat. Die Kurve lauert. Wartet auf einen
unbedachten Schritt, der vielleich noch fällt,
eines milden Abends. Wie jetzt, und eine Amsel
schimpft, weiß zu dieser Stunde mehr. Die Steine
ruhen. Die Brombeerranken ringen die Hände.
Und der Kiesel dort hinten,
der weiß, was hinter der Krümmung liegt.
Die Büsche strecken ihre Dornen nach jenem
Geheimnis aus. Dorthin,
wo der Schatten schwerer wiegt, das Licht Mühe
hat, der Wind einen Bogen macht. Vielleicht,
daß ein böser Traum dort wartet, ein Schlaf, ein
Gesicht. Vielleicht fräße sich, gelangte man
dorthin, ein Gedanke in die Seele, den man
nie wieder loswird. Oder vielleicht wartet dort
das Vergessen. Der Zaun ist halb
eingefallen, kaum, daß die Pfosten halten.
Schatten rütteln am Stacheldraht. Ein Bonbonpapier
liegt in einer eingetrockneten Pfütze. Reifenspuren
verschwinden, als habe sie ein Tier ins Gebüsch
gezerrt. Ein rostiges Schloß
grübelt an der Kette. In den Gliedern
verhakt, verblaßt eine blaue Hieroglyphe
Plötzlich ist der Weg wieder da, steht, eingedenk
einer schrecklichen Tat, dicht am Gatter
und blickt dem Passanten nach.
Kein Laut dringt vom Dorf hierher. Die Glocken
sind verstummt. Über den Wipfeln schwebt
der Mast einer Sendeanlage –
Pferde schütteln die Mähne. Namen gehen
fehl. Schilder meiden den Ort.
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Einundvierzig (Verbeißen)
Die nicht zu mir reicht, die Stimme,
der fall ich ins Wort. Die ich nicht bekomme, die Küsse,
verbeiß ich mir mit rohen Lippen. Die mich frißt, die Liebe,
der fühl ich auf den spitzen Zahn. Verlorenes Sluezzelin
schmied ich um zum Vers.
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Vierzig (Schilf und Schlaf)
Meine Stirn ist ein Himmel
mit Wassersternen darin. Leuchtfeuer von Inseln zu
Insel in der Ferne, ein Lid schließt sich und birgt
ein leuchtendes
Wachsein nach dem Schilf zu, wo alle Sterne
nach Hause ziehen.
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Neununddreißig (Wilder Rabe. Es wäre)
Mit verhülltem Haupt
stehe ich im Feld, wo
am fernen Rain die Frauen
mit den Krügen gehen. Es wäre Winter, und die Blumen
lösten den Zoll in getriebenem Eis. Der Horizont schöbe sich
abendeweise vor den wartenden Fuß. Flüchtiger Anhauch des Hasels.
Wolkensprößlinge, gespalten in
blauem Wasserlicht. Wenn ich den Arm hinter mich hielte,
fräße mir ein wilder
Rabe aus meiner eisigen Hand.
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Achtunddreißig (Warten)
Aber die Bahn kommt nicht.
Ziegen fressen der Kälte ein Ohr ab,
die Manteltaschen beißen mir in die Finger,
alles, was Räder hat, ist vorgefahren,
und die Bahn kommt nicht.
Die Zeit klingt wie ein begonnenes Wort,
dem der letzte Konsonant fehlt. Und fehlt.
Und fehlt, und ich konzentriere mich darauf,
nicht hier zu sein, ich bin mit aller Kraft
nicht hier, aber der Ort holt mich wieder ein.
Ich stehe auf einer beschrifteten Insel
am Feldrand, wo in der Ferne eisige Lichter schweben
wie an der Stirn eines Riesen.
Kein Gedanke, der etwas nutzte, alles, was ich weiß,
habe ich schon auf dem Weg hierher gedacht,
ich habe mir für diesen Bahnsteig nichts zu denken
aufgehoben, und nun ist Nacht geworden,
und die Bahn kommt nicht, selbst die Ziegen
geben auf und drehen ab in Wind
und Nacht, und lassen mich alleine, hundert Meter
hat der Bahnsteig, jede Meile ist mühsam. Raben
frieren am Himmel fest, ich konsultiere
Gebrauchsanweisungen, ich trage mit dem Lautsprecher
einen Wettstreit des Schweigens aus, ich warte, ich
balle die Faust, ich warte, ich warte, weil ich warte,
die Zeit faltet sich in Tautologien auseinander,
ich strande jede Sekunde aufs neue. Sternschnuppen
fallen in Schwärmen, Fische bellen im Teich,
Zettel mit verborgenen Namen flattern ins Dunkel davon,
und die Bahn kommt nicht. Ich grabe, ich grabe,
aber am sandigen Grund dieser Stunde findet sich
kein einziges Wort mehr, die Bahn kommt nicht,
wo wollte ich eigentlich hin, vielleicht
schlägt mich die Zeit doch noch tot.
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Siebenunddreißig (Abend in Hatzenport)
An den Wurzeln der
Sternensilben halten
die Wege Wacht
über sich selbst. Still, ein Ufer den
langsamen Gedanken, verästelt
im Zwischenraum von
Heute und Niemals. Der Mond wirft seine
eherne Schale von sich.
Wasser spielt mit
einer leisen Stunde. Am Brunnen beuge ich mich
über dich und tue, was
ich nicht tat. In einem Schneckenhaus,
in einer halben Nußschale,
in einem Mäusebau kommt der Abend zur Ruhe wie
ein geflüstertes Wort
in der Wendel deines Ohrs.
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Sechsunddreißig (Deine Hände, mein Schlaf)
Deine Hände
halten mir den Schlaf
Deine Hände
halten mir den Schlaf
und in dem Schlaf meinen Traum.
Deine Hände
halten meinen Schlaf,
damit ich deine Hände
träumen kann, die meinen
Schlaf halten.
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Fünfunddreißig (Atmen, deines)
Du atmest in meinen
Armen du atmest atmender
als du hat nie ein Mensch
geatmet du atmest du
nimmst mir das Wort
aus dem Mund du
atmest du setzt dein Atmen
an die leere Stelle
in meinen Gedanken du
atmest wenn ich dich atmen
höre brauche ich nie
mehr Luft zu holen atme
mir was vor an meinem
Ohr mit deinem süßen
Seufzen bist du
in meiner Brust bist
mein Ah und Oh.
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Vierunddreißig (Im Tal, Frühling)
Mit heiterm Blick folgt das Tal
dem Gezuck der Meisen. Steine streifen die Schatten ab,
während der Wind sich einrollt in einem Viehtrog. Der Fluß geht
gemessen durch die Gründe
wie ein nachsichtiger Mönch. Ein Weg paßt auf, daß niemand
abhanden kommt. Beidseits gehen die Ufer in gelbem
Blühen auf wie die knisternden Seiten
eines ungelesenen Buchs. Eine greise Hummel zupft am Wind und malt
Hieroglyphen ins stumme Gras.
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Last modified: 06.02.20, 10:44
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Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer
weiss
erkennt
kalendarische
kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume
Aus der Erde Grund
Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen.
Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren
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