Dreiunddreißig (Morgen mit Tauwetter)
Es tröpfelt, es
tröpfelt. Der Himmel ist
rot und nachthell. Ketten
von Lichtern ziehen
zurück in den Schlaf. Dort
werden sie eins mit
der Traurigkeit in den
Füßen. Es tröpfelt, es
tröpfelt von schmelzendem
Gestirn. Es tröpfelt aus
Waben und Nestern. Es
tröpfelt. Ernste Wege
gerinnen zu Tag. Die
Nacht zieht leise
unser Haus aus dem Berg.
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Zweiunddreißig (Noch ein Wintermorgen)
Buchstabenweise kommt der Morgen zu mir.
Seine zerbrochenen Lettern fallen
mir klappernd auf den Tisch.
Welche Stunde erzählt
mir von meiner Traurigkeit?
Eine Spinne fügt winzige
Schatten zu Einsamkeiten zusammen.
Den Schnabel voll Silbenrätsel
tragen die Meisen das Fenster zu Tag.
Was hilft's. Störrisch übe ich fremde
Wörter für „Nacht“.
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Einunddreißig (Rodung)
Der Wald ist weg, gerodet
über Nacht. Jetzt kracht
der Himmel ungebremst
zu Grund, und das Licht
irrt auf Stelzen zwischen
den Stümpfen umher. Der alte Hund schnüffelt hier und
hebt das Bein zur Probe dort
an einem Stumpf, als spräche er
den Toten Mut zu. Phantomschmerz des Holzes.
Grob gezimmert der Himmel
wie ein Schafott. Schneeflocken taumeln
zu Boden in schnellem Sturz, haschend
nach einem Zweig, der sie noch halte. Fensterreihen starren ins Leere,
die Straße schleift hart an der Böschung. Gärten sonnen sich frech, wie brave Bürger,
denen der Tyrann Freiheit versprach.
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Dreißig (Raben im Park)
In der Dämmerung zieht
die laute Amsel
unsichtbare Wege
ins Gezweig. Ein Wort stiehlt sich davon.
Gedanken verschwinden wie ein
ausrangiertes Sofa
unter der Hecke zerfällt. In schwindelnder Höhe
kehrt die Nacht
in ein Vogelhaus ein. Die Bäume im Park malen
sich selbst in die dünne
Luft, bis die Raben alle Striche im Flug zum
Stillstand zwingen.
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Neunundzwanzig (Klettenbergpark)
Wie das Grün sich rar macht
unter den Bäumen.
Gänsehaut zieht ein Tuch vom Weiher,
und im Nichts des leeren, grauen
Himmels lärmen die Flugzeuge.
Ziegel liegen umher, wie
von einem Kleinkind zerschlagene
Puppenhäuser. Wie das Wurzelwerk über
verlorene Brillen wächst, der Efeu
mit Schnürsenkeln spielt.
Überall in der Dämmerung
stößt mein Fuß an schlafendes Glas,
und auf den Stufen, wo ich einst
aus- und eingingt, rührt sich kein
Schritt mehr. Es ist doch gar nicht
so lange her, denke ich. Da lebten
an diesem Parkufer Pinguine. Jetzt
such ich vergebens in den Schneeresten
nach ihren feinen Spuren. Mit kargem
Futter lock ich die damals schon scheuen
Tiere. Raschelndes Schilf, eine Ente
schaut mir empört entgegen. Ohne
daß ich merke, fressen Hunde den Köder.
Ich blicke den Wegen bis auf die bleiche
Haut, ich höre die Straße lärmen im Rücken,
jenseits der kahlen Robinien zucken
die fernen Sternbilder heller Wohnungen.
Es gibt jetzt Mobiltelephone und
Komputer, es gibt so viele schöne Dinge,
die es damals nicht gab,
die Werbeplakate versprechen
die Rückkehr der Mode von vor zwanzig
Jahren. Die Zeitungen schreiben. wie
alles immer besser und besser wird.
Von den Pinguinen sprechen sie nicht.
Ich bleibe, bis es dunkel wird, als könnte
doch noch ein Schritt fallen auf den frierenden
Weg. Ein Plätschern im Weiher läßt mich
auffahren aus meinem Traum. Aber
einen Pinguin sehe ich nicht. Es muß
sie aber doch noch geben irgendwo, so
wie es doch irgendwo noch deinen
Blick geben muß, der auf Schönem ruht.
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Achtundzwanzig (Abend bei Dersdorf)
Scharfkantige Stücke, Beton,
Keramik, Stein, kratzen im Trog des Abends. Unter der Hecke hockt Schriftliches
mutlos wie Pamphlete
einer vergessenen Revolution. Aus der Tiefe des Felds
über die Schulter zurückgeschaut:
das Zittern der Laternen an der
Straße, ein Zug reuiger Sünder. Kein Himmel sucht noch
in den Pfützen. Unversehens
hat sich ein Kiesel
in die Tasche gestohlen. Der Wind pfeift den Drähten ein Lied.
Unterm Lampenschein gedrängt der Garten
will durch die Fenster ins Haus.
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Siebenundzwanzig (nachts, alleine)
Rechts die Faust ums Glied
geschlossen einen Fuß kühl
in den Bach strecken den anderen
fern wurzeln lassen unter blauem
Hügel daß die Zehen Kiesel austreiben
und Salz wächst im sauren Bast der Brauen
blind Atemtiere abrichten
damit es leuchte am Gaumen
Teichrosengewitter züchten
den Stundenkreis des Nabels
mittig in die Achsel gepflanzt
Horoskope zeichnen in Honig und Ruß
im Trauermantel dann die Nacht anlocken
daß sie den Schlaf scheu fresse
aus der hölzernen Hand.
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Sechsundzwanzig (Bauchschmerzen)
Ich habe Bauchschmerzen.
Ich gehe auf Stelzen über eine schwankende
Brücke als hätte ich
eine grobe Säge geschluckt.
Meine Eingeweide studieren
Fremdwortlexika, während ich
mich krümme, ein Grinsen von Ohr zu Ohr.
Ich trage, ich trage schwer an mir, schwanger
mit mir selbst. Dornen keimen
in mir auf, eine türkise Rose aus
schimmernden Häuten. Ich krümme
und drehe, ich wende und winde
mich, ich falte meinen Leib
wie ein Schneckenhaus um den Schmerz,
der sich durchfrißt nach außen,
bis ich endlich alles abwerfe, um nur noch
– strahlend, roh und schön –
lauter gewundenes Innen zu sein.
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Fünfundzwanzig (Traumschätze)
Ich drehe jeden deiner Blicke dreimal um
und leg ihn mir unter die Zunge.
Ich leg deine Silben zu Patiencen aus
und vergrabe geküßtes Gold unterm Kissen. Ich denke mir ein blaues Haus für uns aus,
und häng es in uralte Eichen.
Ich hebe die Stunden wie Taler auf
und füll mir die Krüge mit Wegen und Worten. Der Abend schreibt mir die Schätze auf Karten,
der Abend, an dem du nicht da bist.
Die Stunde, an dem uns die Sterne nicht kennen, nennt sie mir alle für dich bei dem Namen.
und nennt mir die Küsse, das Wort, und die Wege, den Mund,
und zahlt mir im Traum den ersponnenen Zins.
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