Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Samstag, 24. Januar 2015
Vierundzwanzig (am Feld, Schwäne)

Der Abend ist so alt wie die Steine, die er bewacht.
Wasser kichert in einem Graben, als läge irgendwo ein Schatz verscharrt.

Die Misteln fallen von den Bäumen wie angekaute Stücke Horizonts.

Leuchttürme ruhen auf der schmalen Seite einer Stunde. Was man nicht finden kann, muß man verlieren. Latein wäre eine prima Sprache für Pinguine.

Die wilden Schwäne haben sich in Papier verwandelt. Ich stoße sie an mit dem Fuß. Ohne Laut treiben sie an den Wolkenrändern davon.

Im Haus lasse ich die Abendhülsen aus meinem weiten Mantel fallen.

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Freitag, 23. Januar 2015
Dreiundzwanzig (Nicht genug)

Gleich, wieviel Zeit wir auch haben, so scheint es doch immer zu wenig.
    kaum fing die Stunde an, ist sie schon wieder vorbei.
Wohl nennt man flüchtig die Zeit, doch Flüchtige sind wir doch selber:
    Nicht ist's die Zeit, die gering: wir sind Geringe der Zeit.

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Donnerstag, 22. Januar 2015
Zweiundzwanzig (In der fremden Stadt)

Eulen wohnen keine hier.
Nur Raben pflegen
die steinerne Mitternacht.
Aus gelben Tümpeln trinken
die Laternen, schlafende Türme
schauen sich selbst auf die Füße,
und die Straßen zitieren
aus einem unbekannten Buch.
Ich bin fremd wie Wüstensilben,
die am Lagerfeuer fielen.
Der Himmel ist rot. Ich habe die Sterne
verschwendet und pfeife auf dem letzten
Schlüssel, nur ein geliehener
Mond ist mir geblieben. Meine Stiefel
schämen sich meiner. Ein Wächter
verlangt nach der herben Losung.
Für die Dauer eines Abzählverses
wäre ich ganz frei: Auf der Zunge
liegt mir der Reim. Keine Eulen, die Fenster
ziehen nachdenklich ihre fernen
Schlüsse. Die Tore fallen ins Wort.

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Mittwoch, 21. Januar 2015
Einundzwanzig (Sturm im Gebälk)

Am Abend bringt ein Schienenstrang
neuen Frost vom Horizont.

Ruhe streicht ein Feld glatt,
und alle Türme stehen stramm.

Gewölk schäumt im Kamin.
In einem Rabengefieder erkennt
die Nacht sich wieder.

Das Dachgebälk träumt
von einem kräftigen Sturm.

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Dienstag, 20. Januar 2015
Zwanzig (Lexikalisch)

Silbe um Silbe zitiert der Tag
aus dem Stundenbuch.

Schatten ziehen die Sonnenuhr auf.
Das Wort zum Tag legt Gold auf die Waage.

Raben zeichnen mit flinker Feder
knorrige Frakturen übers Himmelszelt.

Zitternd zwischen den Zeilen gelesen
die blauen Symbole des Eisvogels.

Aus den Buchseiten fallen
alle Wolken.

Die Sonne lacht
über einen vergessenen Text.

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Montag, 19. Januar 2015
Neunzehn (Winterliches Feld)

Fenster trinken die graue Ferne leer.
Ein Draht schlägt Spalten von hier bis an die Luft.
An den Rändern der Weite heben
die Häuser vergeblich die Schwingen.

Der Weg gibt vor dem Hügel auf.
Der Waldsaum hat den Reißverschluß hochgezogen.
Die Säume enden in kalten Säcken.

Schichten von Pfählen bergen eine eisige Mitte.
Den Stiefel verläßt der Mut, und alle Ziele
zaudern wie ein gestammeltes Wort.

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Sonntag, 18. Januar 2015
Achtzehn (der Fremde)

Als der Morgen
dämmerte und ich den
Laden hochzog, meinen Blick
müde und verkniffen ins trübe
Starren des Gartens richtete,
da sah ich: Es war noch jemand da.

Ein Fremder schlich ums Haus,
verbarg sich hinter den Büschen.
Mal sah ich seinen Hut
hinter den Rosen auftauchen
und gleich wieder verschwinden, mal stak
sein Fuß unter einer Wurzel hervor
(sein Stiefel hatte ein Loch),
einmal leuchtete seine Nasenspitze
aus dem Flieder hervor.

Ich sah, wie eine Hand etwas am Zaun
des Nachbarn vergrub. Dann
verlor ich ihn aus den Augen.

Den ganzen Morgen wartete ich,
daß es klopfte. Aber das Haus blieb still.

Später am Tag entdeckte ich ihn wieder,
da hockte er hinter den Schlehen,
ein Notizbuch auf den Knien, er schrieb
mit einem Stück Kohle
in die zerknitterten Seiten.

Als die Vögel zu ihm kamen und ihn umringten,
riß er eine Seite nach der andern
aus dem Heft und gab ihnen
die knorrigen Buchstaben zu fressen.
Ich sah, wie sie die Köpfe schieflegten,
sich aufplusterten und zu mir
herüberschielten, als wollten
sie mich auslachen. Dann flogen sie
im Schwarm davon.

Als der Abend dämmerte, sah ich den Fremden
auf der Landstraße gehen, eine große,
hagere Gestalt, in Zwielicht gehüllt, er sammelte
Steine in einen Sack, so entfernte
er sich langsam, bis das Dunkel ihn verschluckte.

Eine Weile war in der Nacht noch das Liedchen
zu hören, das er auf den Lippen hatte, ehe auch dieses
verstummte und nur wieder in der Ferne
die Reifen dröhnten.

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Samstag, 17. Januar 2015
Siebzehn (Morgenlied, sie)

Über den Spülsaum des Zwielichts stürzen am Morgen die schwarzen
    Lampen. An mondiger Brust fragt mich ein Falter nach Milch.
Dort, wo die Träume des Hauses enden, da wartet schon meines
    Freundes schlafender Kuß, daß ich das Schilf um uns zieh.

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Freitag, 16. Januar 2015
Sechzehn (Glocken & Spatzen)

Ich schreibe unsere heimliche
Liebe nicht in den Wind
ich schreibe sie nicht in die Nacht.
Am Tage verblassen alle Runen.

Ich hänge unsere heimliche Liebe
an die stumme Seite der Glocken.
Mag es nur hören, wer kann.

Ich schlage mir unsere heimliche
Liebe nicht aus dem Kopf,
erst recht nicht
aus Herz und Gliedern.

Ich schreibe unsere heimliche Liebe
auf die Rückseite eines Pfiffs.
Da wissen die Spatzen nicht mehr,
wo's Dach ist.

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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