Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Sonntag, 8. November 2015
Dreihundertzwölf (Pan)

Die Ferne filzt sich ein in blaue Zöpfe,
die Luft ist warm wie unter einem Hut,
im Augenwinkel warten Nymphenköpfe.

Ich fühle meine Haut mit weicher Rinde.
Im Kambium von Farnen schwimmt mein Blut.
Gedanken schweben fort wie Dunstgebinde.

Mein Auge sinkt, bis ich mich nicht mehr finde.
Ein weißes Schilfrohr seufzt, wenn ich verschwinde,
wo ich zum ersten Male Atem schöpfe.

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Samstag, 7. November 2015
Dreihundertelf (Kiesel)

die ferne zielte mit allen
strecken nach dem einzigen vogel

um haaresbreite verfehlt:
das schwebende falkenauge

nichts mehr zu sehen:
noch jahre später reckten
in zweiter reihe die föhren
den wipfel

der bach zählt die schatten herab
zu verdoppelter wolkentiefe

diesseits aller erzählung wieder-
gefundenes im
andenken des flußkiesels.

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Freitag, 6. November 2015
Dreihundertzehn (Photoalbum)

Die Luft ist nicht mehr durchlässig für Schwalben.
Das Licht steht ganz allein am Beckenrand.
Wie Werkzeug lehnen Schatten an der Wand.
Die Düfte wolkenlos wie schwache Salben,
wo Hügel niederknien, um zu kalben.

Es fällt das Laub so langsam wie auf Händen
geführt. Die Farben sich ins Innre wenden,
ein Windlichtsog zu blassen Herbstgeländen.
Es drängeln sich die Tage an den Rand,
wie hinter Stirnen alter Hochzeitsalben.

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Donnerstag, 5. November 2015
Dreihundertneun (Fingerlinge)

Die blätter fallen so langsam
als wüßten sie, wie man für immer
den grund verfehlt.

von den schultern an aufwärts
mißt der herbst nur noch nach meilen.

die flure so offen, hell
wie fingerlinge

auf die pelzseite gewendet.
bereit für die hände des lichts.

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Mittwoch, 4. November 2015
Dreihundertacht (Morgendämmerung mit Pferden)

Die Nacht zog
sich in die Lieder
zurück, wo man die Küsse
noch korrekt zu
buchstabieren verstand

Dem Licht überließ störrische
Dunkelheit die zerworfenen
Alphabete der Kiesel

Unterm Wachstuch feuchtgehalten
die Klumpen der Pferde,
die eine frühe Stunde fertig
zu modellieren vergaß

Die Wege lagen in der Frühe
alle mit dem Gesicht
nach unten im Feld.

In der hohlen Hand, vorsichtig
geküßt, fand sich die Dunkelheit wieder

Im Zwielicht aber blieb
das letzte Kreuzwegrätsel ungelöst.

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Dienstag, 3. November 2015
Dreihundertsieben (Feuerkissen)

Der Fluß geht rund, kehrt wieder in dem Rahmen,
als folgten Kinderspiele hellen Fluren,
der Strom ist eins, im Licht zerfallen Spuren.
Der Kiesel klemmt wie weicher Schatten Samen.

Es ist, als kehrte wieder zu den Fliesen,
die Sonne heim, von wo die Hunde bellen.
In Lampenkammern teilen sich die Zellen.
Der Spiegel treibt Gedächtnis aus den Drüsen.

Man wandert über Tag, verdrängt die Klüfte,
die Pergament gewordnen Wind verwahrten.
Es ist, als hausten in den Augen Nissen.

Man lernt niemals das Wort, um solche Lüfte
zu sehen. Lange Sonne, kühl in Scharten,
berichtigt milder Lurche Feuerkissen.

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Montag, 2. November 2015
Dreihundertsechs (Kranichzug)

Sie kamen am Himmel zusammen
wie Schwimmer im seichten
Wasser, in der Dünung auf- und niederdümpelnd

Ihre hellen Bäuche so weit oben
schimmernd, daß wir Unteren, den Kopf
im Nacken noch ein Stück tiefer
zur Erde rutschten

Ein Raunen und Zirpen glitt von dort
langsam zur Erde, als drehten sie droben fleißig
an den winzigen Stellschräubchen des Blaus, heller,
dunkler, bis der Farbton stimmte

trugen zusammen, was noch fehlte
an Luftkacheln, als hätten sie verborgene
Löcher zu stopfen im Zelt, sortierten

die Wegmarken, trugen
schnabelvoll Blau zu Blau, bis
der ganze Horizont endlich fertig war

und ließen uns Bleibenden, die wir
standen und staunten,
einen ordentlicheren Himmel zurück

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Sonntag, 1. November 2015
Dreihundertfünf (Märtyrer)

Sie ruhn an ihren Blicken wie an Stangen
der dem gequälten Leib die Klammer gibt.
Sie sind, indes der Mund vor Schmerzen schreit,
in Blickgefilden fern von Schwert und Glut und Zangen.

Sie sind wie Lichter, die aus Chaos ragen,
Sie halten ihren Leib wie Fleisch der Schlächter,
als wär es nichts als Klumpen feiler Ware.
Aus Pein erwächst der Blick, wie Sümpfe Blumen tragen.

Wir schauen zu; doch ihre Blicke werben
uns nicht. Sie sind wie Flaggen ohne Pole,
sind Alphabete, die Papier nicht brauchen,
sie leben schon, uns bleibt, mit Mühe erst zu sterben.

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Samstag, 31. Oktober 2015
Dreihundertvier (Auf einer Wanderung: Anderswelt)

Totholz ragt aus Laub
als stocherten die Unter-
irdischen nach Licht

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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