Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Freitag, 30. Oktober 2015
Dreihundertdrei (Idylle in Nebelgelb)

laub fällt immer knapp
auf die diesseitige
fläche des lichts

auf dem umgestürzten
baumstamm liegen die blätter, stecken

in warmen ärmeln aus luft

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Donnerstag, 29. Oktober 2015
Dreihundertzwei (Morgengrauen)

Die Wege stürzen nachtblind in den Himmel.
Die Baumwipfel erhängen sich
in Tümpeln aus Stein.

Am stumpfen Ende der Farben warten
die Schnecken. Bevor es
tagt überm fernen Ohr, senkt sich der Schlüssel
ins Milchauge des Raben.

Glocken jagten den Mond
über die Hügel fort. Mit allen Ziffern
betteln die Türme um Zeit.

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Mittwoch, 28. Oktober 2015
Dreihunderteins (Bussard)

Als stürzte mir der Blick, fremd
geworden meiner Braue, zu groß für
das gläserne Gefäß der Pupille,
aus dem Augapfel, rollte
ins Feld hinaus, sich selbst abfangend in der Luft,
geballt, schwarz, gefiederte Zunge
Wind, zahlloses Münzgeld zwischen Bewegung
und Stillstand, Wellen,
an denen Kopf und Stirn mir hängen
wie einer Nabelschnur aus Licht,

und stiege dort, kollabierend
in Flug und Schwinge, wie ausgesponnen
und schließlich sehnsuchtsvoll
abgenabelt aus dem Augenlicht, in einen andern
Schatten, suchte sich

ein anderes, fernes Auge, um fliegend da
zu wohnen.

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Dienstag, 27. Oktober 2015
Dreihundert (Die Dame im See. Ein Versuch)

Es liegt an verborgener Stelle
ein Weiher mit gräulicher Welle
von Schilfgras die Wand
umschlingt seinen Rand,
der Mond küßt silbern die Schwelle.

Ein Fräulein wohl wohnt in den Binsen.
Es leuchtet der Mond in ihr Grinsen.
Der Liebste ist tot,
Wahn, Kummer und Not
aus bleichem Antlitze linsen.

Ein Ritter gejagt wird seit Wochen,
er hätt seinen Bruder erstochen.
Der liebt seine Dame,
drum rast er vor Grame,
war sie doch ihm schon versprochen.

Ein Ritter sein Fräulein wohl küßte.
Der Bruder die Dame erkieste.
Der findet die zwei,
umschlungen im Heu.
Und flieht nach dem Mord in die Wüste.

Ein Ritter gelockt ward zum Weiher
von lieblicher Jungfrau im Schleier.
Er folgt ihr ins Naß,
es schließt sich das Gras,
aufraget das Schilf wie Gemäuer.

Ein Fischer am Teich hält die Leine,
da ist ihm, als ob jemand weine.
Er spitzet das Ohr,
es schluchzet im Rohr,
doch findt er im Schilf nur Gebeine.

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Montag, 26. Oktober 2015
Zweihundertneunundneunzig (Dein Kuß hat)

Dein dunkler Kuß hat Auen mir aus Leuchtern
geöffnet. War doch Anfang erst, ein Lächeln
das einen Zauberspruch beginnt. Zu feuchtern

Gesellen schmiegt sich Blatt um herbes Blatt,
wo Haut von Haut sich streift zu Pelztierfächern,
im Raum von Stirn und Fingerträumen, glatt

wie Tränenflossen. Algen schlafen. Wummern
durchzittert unsren Bauch wie Schlaf von Zechern,
Wenn Schlummer sich verpaart mit süßerm Schlummern.

Dein Kuß hat mir den süßen Rand von Bechern
gereicht. Mein Brot schmeckt frisch und frei von Kummern,
und ruht mein Knöchelspiel in kühlen Köchern.

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Sonntag, 25. Oktober 2015
Zweihundertachtundneunzig (Ständchen)

Am Morgen bist du weich wie Kuchenkrumen.
Dein Mund ist wie der Mohn noch ganz zerknittert,
die Stirne trüb, wo dich ein Traum durchzittert.
In deinen Blicken wachsen Butterblumen.

Du bist so zart wie Inneres von Nüssen,
von keiner ernsten Wachheit ausgehärtet.
Wir sind noch Spiel, wir dürfen unbewertet
so tun, als ob wir schliefen, wenn wir küssen.

Wir küssen uns gleich sanften Häutungstieren,
die eins das andre aus dem Schlaf entdeckten,
und sind einander Sog nach Traumgewittern,

wenn wir einander hin zum Tag verführen.
Wir schaun uns an. Und was die Träume weckten,
wird uns im Wachen süßer noch erschüttern.

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Samstag, 24. Oktober 2015
Zweihundertsiebenundneunzig (Vogelscheuche)

Raben wissen ihm Spott, in den Taschen feiern die Mäuse.
     Einzig der bibbernde Stein neidet dem Stroh seinen Rock.

Schatten nimmt ihn als Knauf, ihm stützt sich der Wind auf die Schultern.
     Was auch die Sonne sieht, späht durch sein Knopfloch sie aus.

Sehnsucht nach süßem Holz, nach den feilen Gliedern des Hochstands.
     Liebeskrank sucht er im Sack, findet nur Spinnweb zu Hauf.

Langweilig ists auf die Dauer, die Stare zu schrecken. Am Abend
     unter dem Mantel hervor holt er den Kinderschreck gern.

Wo Tante Ernas Pudel verschwunden, das blieb ein Geheimnis.
     Nicht gibt der Vogelscheuch preis, wo auf den Knochen er hockt.

Stocksteif steht er im Feld, wenn Kleider im Mittagslicht fallen.
     Leise schreit Hanna nach Hans, als eine Wanze sie kneift.

Einer fand nicht mehr heim, den niemand bei Tische vermißte.
     zögernd am flackernden Feld, brachte ihn Wahnsinn nach Haus.

Dunkel ist es bei Tag in der Brust, wo die Spinnmilben hausen.
     Nachts wie durch Gänge im Berg schimmern die Sterne durchs Stroh.

Feuer am Ende sein Lohn, doch schenkten die Bauern Erlösung:
     Gott und sein Opfer zugleich, stirbt er, in Liebe entbrannt.

Dickichtwärts führte die Stockspur fort von dem einsamen Acker,
     Loch an tieferem Loch, taumelnd. Kein Stiefel, kein Fuß.

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Freitag, 23. Oktober 2015
Zweihundertsechsundneunzig (Mond im See)

Weder Kopf noch Zahl
auf die falsche Seite fiel
der Mond in den See

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Donnerstag, 22. Oktober 2015
Zweihundertfünfundneunzig (Talsperre)

Die Spiegelungen stehen am Abend
wie gescholtene
Diener im Teich.

Noch nicht abgeräumt
von der Tafel: die uralten
Mücken. Drehen sich um sich selbst,
müde des Silberspiels.

Zäune werden durchlässig
für Altweiber, in blauen
Stirnen versinkend. Zu edelfaulen
Pavanen verholzen im Dunkel
schwankende Oktaven.

Deutlicher jetzt das Fehlen.
Blinde Netzhaut der Wege,
Leitern, Stiegen, Rampen
zeigen sich von ihrem Ende.

Sichtbar die Kettfäden des Winds.
Der Wasserdost verschwindet aus
seiner eigenen Legende.

Licht schließt endlich die Lücke,
die der letzte Reiher ausstrich.

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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