Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Freitag, 1. Januar 2016
Anfang

Wieder die Glocken. Im Tal fällt die Nacht in die schweigenden Schlösser.
     Etwo im leeren Haus endet ein Bett meinen Traum.

Neu ist das Jahr und die Welt, als wäre sie eben entstanden.
     Schweigend, wie eh sie begann, Zeichen und Gleichnis zu sein.

Einsam am einsamen Feld stürzt Sternenlicht mir durch die Augen.
     Gleich einer Scheuche das Stroh füllt sich mit Schweigen die Brust.

Fernen schreiten davon wie niemals erreichbare Verse.
     Rabe, Feder und Stein, warten die Zeichen aufs Wort.

Lassen die Dinge sich sehen, dann kennen sie Wort und Bedeutung.
     Heb ich zum Schatten den Arm, bin ich das Zeichen mir selbst.

Dichtend durchmaß ich das Jahr; nun reich ich die Feder dem neuen:
     Schenk mich als Letter der Nacht, lasse mich deuten vom Tag.

Schwinden möcht ich wie Wasser, das fließend im Strome verschwindet.
     So wie wenn niemand schaut, Zeichen im Zeichen verstummt.

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Donnerstag, 31. Dezember 2015
Dreihundertfünfundsechzig (Ende)

Wege im Schnee: Und welche du ließest, am Hinweg die Spuren,
     wendest du wieder den Schritt, sind schon von Flocken bedeckt.
Was du auch immer in Grund schreibst, schwindet, gleich wie die Geschichte
     wieder, aus der sie entsprang, kehrt in die Stille zurück.

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Mittwoch, 30. Dezember 2015
Dreihundertvierundsechzig (Versäumtes)

Schon fliegt der Wind, die Wege abzuknipsen,
schon hängt das Licht am Tag wie an Versäumtem,
vergaß ein Vers, wo ihn die Nacht gezeugt,

im Kreis von rosenblättrigen Ekklipsen.
Der Rand von Wimpern rankt sich nach Erträumtem,
ein Falter nach der Totenlampe äugt.

Aus Hecken übrig bleibt ein Fingerschnipsen.
Und eisig geht der Bach, der Hände zeugt.

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Dienstag, 29. Dezember 2015
Dreihundertdreiundsechzig (Moment)

Die Räume überm Schnee sind hell wie Wunder,
die allen Tod vom Sterbensleid entgiften.
Die Sonne scheint die Blicke auszulüften.
Die Häuser stehn im Tal wie Spiel und Plunder.

Es ist als funkten Zapfen harte Schreie.
Ein Amselschnabel flammt am Zweig wie Zunder.
Wie Orgelbau fügt Wald sich in die Reihe.

Ein Schritt entfällt dem Schweigeraum zur Weihe.
Die Tode gehen leise Wiegen stiften,
wo nach der ersten Deutung Wörter driften.

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Montag, 28. Dezember 2015
Dreihundertzweiundsechzig (Späte Wege)

Die sanfte Stirn des Tages schmeckt nach Pilzen,
wenn schon das Licht in warmen Stiefeln geht.
Die Farbe in den Seen kopfüber steht.
Es grinst das Regenmaß in gelben Sülzen.

Die Ferne hebt die Hand geschrumpfter Riesen,
wo Fluß und Bachlauf kalligraphisch webt.
Wie nach der Liebe Haar an Schultern klebt:
So seufzt der welke Dost an matten Wiesen.

Und alle Post wird leiser, immer leiser.
Es hängt der Tag wie an dem seidnen Faden.
Die Spinne ruht. Es ruckt der Stundenweiser,

die Last des Tages endlich abzuladen
am späten Hag. Das Licht wird greis und greiser
und schummelt sich von Pfad zu schmalern Pfaden.

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Sonntag, 27. Dezember 2015
Dreihunderteinundsechzig (Flucht)

Und Dämmerungen zeugten schwarze Söhne
entlang den Strömen, die den Mond fortschaffen.
Wie Koboldschreie froren Kieseltöne.

In Nacht und Nebel hieß es, Wind zu raffen,
den Blick in Stirnen festgeschraubt wie Eisen,
verarmt und mild zu gehn, wo Sterne gaffen.

Die Wüste lehrt den Fuß Nomadenweisen.
Die Nacht löscht unter Zungen alle Worte.
Löscht „Du“ und „Ich“, „Das Kind“. Drei nackte Affen.

Nur in den Augen fanden sie noch Horte
von Du und Wir, im Licht, wo Seelen klaffen.

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Samstag, 26. Dezember 2015
Dreihundertsechzig (Kein Heim)

Die Dämmerungen kehrten heim wie Vieh,
Wir grübelten am harten Rand der Hufe,
und waren nicht zu Haus. Das Land uns schrie

mit Glocken aus. Am Haupt die Mondeskufe,
der welke Pfad am Fuß. Am Kreuz vergilbte
ein Jesus fahler Lippen. Zwielichtstufe

uns führte nach dem Feld, wo Sternlicht stülpte
zwei kalte Fühler aus. Es war noch früh.
Die Wälder brach. Von Zwingern Rufe, Rufe.

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Freitag, 25. Dezember 2015
Dreihundertneunundfünfzig (Vorabend)

Fremde Schuhe im Flur, und du weißt nicht, wie du nach Hause gelangt bist.

In der Küche, wo deine Tasse vom Morgen noch steht, tickt eine Uhr der Zeit unbekannte Silben ans Zeug.

Wie heimgekehrte Hunde liegen die Bäume ermüdet im Tal. Der Wind stößt die fahrigen Lichter um.

Deine Schuhe haben nie gepaßt. Deine Jacke ist zu klein für den aufziehenden Sturm. Aus der Zeitung fallen die Buchstaben einer unbekannten Sprache.

Barfuß sitzt du im Licht der halbgeöffneten Truhe. Du mußt diesen Abend jagen mit einer silbernen Feder.

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Donnerstag, 24. Dezember 2015
Dreihundertachtundfünfzig (Schneewald)

Und Himmel greift durch altes Zweigwerk durch,
die Luft hat kein Gesicht im Stau der Weiten,
die Knospen schießen Löcher in die Plane.

Die Wurzel weiß nicht, wo der späte Lurch
im Schlummer liegt. Auf Schatten Spuren gleiten
wie Kinderfinger in der süßen Sahne.

Im Tal die Glocken zu sich selber läuten.
An Sonnenhaken schrumpft die Zunderfahne.
Der Schnee lockt Seelen aus den alten Zeiten.

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 8 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 8 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 8 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 8 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 8 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 8 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 8 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 8 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 9 Jahren

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