Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Donnerstag, 26. November 2015
Dreihundertdreißig (Entfallen)

Und wie der Wind die Blätterbeutel knüllt,
dort strammes Schild den Weg der Schwäche zeiht,
hier Grenzstein sich zum toten Winkel reiht,
liegt brach ein Wort, von Lettern zugemüllt.

Zwei gehn für sich, an Händen eingeschneit.
Wo sich ein letzter Pfad dem Abschied weiht,
seh ich sie schwinden, wie aus Traum gezwillt.

Die Stille sich vom letzten Tritt befreit,
wie sich das Schweigen mit dem Wort entzweit,
bis Dunkelheit den Stein mit Brausen füllt.

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Mittwoch, 25. November 2015
Dreihundertneunundzwanzig (Reminiszenz)

Es ist an diesem Morgen nichts, was niemals
gewesen wär. Die Fenster sammeln Morgen,
die Schatten salutieren. Auf dem Hocker
erwacht das Hemd von gestern, alles weiß noch,

wie, was gewesen wär, wo jenes läge
wie jener Schatten fiel, wie manches Lager
in Falten sich zu krampfen, jenes Weinglas
und welche Lippenspuren hätt zu tragen.

Es ist an diesem Morgen nichts, was einmal
gewesen ist. Das Bett liegt heut nicht anders
als eben, wie es liegt. Die Gläser glänzen

gespült. Im Laken längst verblaßte Flecken.
Du kannst die Spuren messen, wie du willst:
Es ist an diesem Morgen nichts gewesen.

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Dienstag, 24. November 2015
Dreihundertachtundzwanzig (Moor)

Der Schatten einer Rose mag verschenken,
was sich um letzte Düfte sorgt.
Von Sonnenknirpsen ausgeborgt
müht sich der Spiegel, Wolken einzurenken,
wo Augenkerne sich in Skizzen senken.

Taub bleibt ein Schimmer in den Schalen klemmen.
Als sei die Schrift ums Buch besorgt,
greift Sandgekritzel aus nach Moor und Schlämmen.

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Montag, 23. November 2015
Dreihundertsiebenundzwanzig (Windzeichen)

Das Laub legt sich zu blinden
Landkarten um. Haarrisse.
Küsten, nur lesbar als Palimpsest unterm Lid.

Zäune deuten ein Rätsel aus. Verraten
die Antwort auf eine längst vergessene Frage.
Wir sehen die Kraniche, wie wandernde
Uhrwerke ohne Uhr treibt sie der Himmel.

Kaum merklich füllen sich die Flure
mit dem Sonnenpegel
eines früheren Tages. Pulsschlag
an deinen Schläfen plötzlich
fühlbar wie ein vermißter Nestling.

Stirnen glühen wie Schleifsteine. Soviel
Licht heimzutragen aus den Brüchen.

Wie liturgisches
Gerät außer Gebrauch stehen die Bäume
am Bach, durchlässig für Windzeichen.

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Sonntag, 22. November 2015
Dreihundertsechsundzwanzig (Mücken)

Wie Rebellion von Wimperntusche, Mücken,
in Spiegel abgetaucht, in Wand geschmolzen,
nichts als ein Hauch von Pfeil und zarten Bolzen,
und werbend Ohr ins Ohr ein Blutentzücken.

Sie fassen Enterhäklein, schlagen Brücken
und Leiterchen in Luft. Das Licht hat Lücken,
wo Schatten sich in Letternzwerge drücken.
Geduckt vor Schuß und Schlag wie Traumes-Tücken
zappelnder Rauch, den sich Sirenen pflücken.

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Samstag, 21. November 2015
Dreihundertfünfundzwanzig (Eifersucht)

Nicht mißgönn ich’s dem Anderen, daß deines Leibs er genieße:
     Selbst in der höchsten Lust bleibt er ja von dir getrennt.
Ob du allein mit dir selbst, ob du teilst dein Vergnügen mit andern:
     Stets hast du uns was voraus, bist du doch immer: dein Leib.
Nah, so nah wie du selbst mag keiner dir hoffen zu kommen.
     Denn, was immer du fühlst: Fühlst du doch nur für dich selbst.
Jeder, der frommt deiner Gunst, muß im letzten alleine doch bleiben.
     Und so bist’s einzig du selbst, die du zur Gänze erfreust.
Wenn mich die Eifersucht heimsucht, so neid ich dich niemals dem andern.
     Weil du es selbst, die dich hat, muß ich dich neiden dir selbst.

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Freitag, 20. November 2015
Dreihundertvierundzwanzig (Abend in Bad Ems)

Saugen sich auf dem Hügelkamm die
kahlen Wipfel mit Himmel voll

Ragt der Pavillon wie ein Nachfüllstutzen
aus den Drahtverhauen des Parks

Tragen Oberleitungsmasten im Tal
einen Gleiskörper zu Grab

Drückt ein Wind auf den Berg, quellen
nasse Straßen heraus wie Schlangen aus dem Nest

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Donnerstag, 19. November 2015
Dreihundertdreiundzwanzig (mp3)

Musik schlurft bei, wie schlammig angeschwemmt,
aus Hörerschalen, drin die Köpfe hausen.
Man hockt im Schall wie Schnecken in den Klausen.
Man glotzt, die müden Blicke weggeklemmt,
und ist sich selber los. Befreit. Taub. Fremd.

Die Welt ist fern und wie in Glas geätzt.
Ob Wolken draußen ziehn, ob blanker Himmel
erstrahlt, es ist als ob von Klang ein Schimmel
sich breitet über Stirn und Mund. Gehetzt
Synkopen klirren. Wie süße Säure netzt

der Schall das Hirn, bis Geist und Grips verlausen.

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Mittwoch, 18. November 2015
Dreihundertzweiundzwanzig (Steine)

Nächtens am Wegrand
wie Schlüssel ohne Schlösser
suchen sie den Mond

Im Regen liegen
sie alle mit dem Gesicht
nach unten im Feld

Kaum sichtbar der Kopf
angelandet am Feldrain
wie müde Schwimmer

Himmel fliehen sie
an schwarzen Scharten wetzt sich
das Sternenlicht stumpf

Unter Algenhaar
warten auf den großen Zeh
der Mädchen im Bach

So schwer in der Hand
als bestünden sie innen
aus lauter Mitte

In unschuldigen
Händen nach schuldigem Blut
schreien die ersten

In der Dämmerung
Luft anhalten, so gelingt
die Kunst des Schwebens

In der tiefsten Nacht
Träumende am Grund des Sees
dem Mondschein ganz fremd

Wie das schmerzende
Korn im Muskel der Auster
Die Perle im Schuh

Windbatterien
verteilt im Feld, bereit zur
Aufnahme des Sturms

Am Ende langer
Schatten endlich gelöst das
knifflige Rätsel

Saugen am mondschein
wie Küsse. Gespeichertes
Dunkel wächst innen

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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