Dreihundertfünfundsechzig und ein Text
Montag, 14. Dezember 2015
Dreihundertachtundvierzig (Wildschwein)

Es liegt an seines Schweigens nächstem Rande,
ein Wanderer im Rücken seiner Meilen.
Die Schatten fliehen seinen Ort, die Vögel
verstecken ihre Schnäbel im Gezweige.

Es läßt sich nicht genauer mehr beschauen.
Die Augenhöhlen fliehen deine Blicke,
ein Zahn stürzt aus dem Kiefer, Hufe modern
im Gras. Der Blick zerfällt dir am Zerfallen.

Es ist hier nichts zu finden, was verloren.
Nicht mal ein Spiegel liegt noch in den Höhlen.
Fort, wer hier war. Kein Rätsel mehr zu binden.

Kein Laut, der sich noch finge in den Ohren.
Es ist hier nichts verborgen, was zu finden.
Die Brust steht hohl, kein Zeugnis an den Spuren.

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Sonntag, 13. Dezember 2015
Dreihundertsiebenundvierzig (Schlaf)

Du schläfst und findest hinter Lidern Halt.
Ein Käfer wandert durch den Bronzewald.
Die Räume täuschen wie Picassokuben.

Du träumst. Die Blicke ruhn in weichen Gruben,
und deine Hände sind wie ferne Länder.
Die leeren Ohren sind Orchestertuben,
drin Stille wächst wie stumme Radiosender.

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Samstag, 12. Dezember 2015
Dreihundertsechsundvierzig (Wendekreis)

dein duft: wolkenlos
deine haut: ein archipel
im azorenhoch

dein haar seemannsgarn
fährt über die seekarten
südlicher breiten

andermond meine
zunge flötet gezeiten
von ebbe und blut

konstellationen
am wendekreis der hüften
alpha des steinbocks

wo deine küste
jung wird zucken die austern
mit keiner wimper

wie algenwedel
dein schatten auf meinem bauch
salzsturm im nabel

zwischen kinn und zeh
zerklüftetes binnenland
brücken aus finger.

auf meinem schlaf schwimmt
dein atem. weiche dünung
wo haut an land geht

beim erwachen fällt
dein blick in meine träume
licht im schneckenhaus

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Freitag, 11. Dezember 2015
Dreihundertfünfundvierzig (Abend. Hommage à Trakl)

Der Abend kommt mit traurigen Kantaten
nicht heim. In blauen, aufgelaßnen Höfen
stehn Hecken um den Spielplatz wie um Öfen.
Ein Rauchgeist schwängert kalte Kemenaten.

Ein Windhauch tönt gleich einsamen Sonaten,
die kranke Mädchen aus dem Fenster lügen.
Erbleichend stehn die Astern in den Krügen,
sie lächeln falsch wie greise Diplomaten.

Ich sehe Wolkenschein in Tonnen sinken,
am Zaun erhobner Hände fleht die Wicke.
Ein jeder Schritt schwankt wie auf Bergesgraten.

Der Bach steht still. Geäst zeigt Gaunerzinken.
Am Herzen weben ahnungsvoll Gestricke.
Die Sonne schweigt vor dämmrigen Brokaten.

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Donnerstag, 10. Dezember 2015
Dreihundertvierundvierzig (Hexe)

Sie stehn am Bahnsteig Brust an Brust, gekauert,
wie Pinguinie grübelnd ihre Köpfe
zusammenstecken. Unter Schirmen Schöpfe,
und die Gesichter kältestumm vermauert.

Vom fahlen Eis der Oberleitung schauert
der Strom. Die Bahnen sind gestopft wie Kröpfe,
man haucht einander an, man tritt in Näpfe
aus trübem Naß. Die Strecke dauert, dauert.

Mich aber führen Spuren nach den Feldern,
und bin in Erde warm. Die armen Tröpfe,
sie taugen fürs Geschäft und nicht zu Wäldern.

Ich sammle Stein und Rabenfeder. Zöpfe
von wilden Tieren taugen mir zu Geldern.
Dann hol ich Luft. Bin hellere Geschöpfe.

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Mittwoch, 9. Dezember 2015
Dreihundertdreiundvierzig (Entlassen)

Dann bist du weg. Ein Vogelnest am Gaumen
verklebt mit Kot mir alle warmen Drüsen.
Ich habe keine Finger, nur noch Daumen.

Wir hatten mal gemeinsame Kombüsen,
Und tauschten emsig Honig gegen Zucker.
Jetzt heult der Wind in eingerußten Düsen.

Mein Mund ist kalt wie der vom Flammenschlucker,
verbrannt vom Feuerkuß auf Jahrmarktswiesen.

Begreift man, wie die Tauben sich erkiesen?
Auf taube Münzen spucken Wasserspucker.

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Dienstag, 8. Dezember 2015
Dreihundertzweiundvierzig (Tümpel)

Gestreckt aus blauen Ärmeln die Gespinste,
am Tümpelsaum wie Fleisch von steifen Lebern.
In Wimpernwäldern gehen Blicke stöbern.
Der Spiegel blind, von Eiskristall gehäckselt,
der bleiches Antlitz eines Gotts verzinste,
es nahm und bei sich hielt, in Traum gewechselt.

Was aus sich glaubte, hellere Gewinnste
zu schöpfen, fehlt sich selber. Dunklen Webern
verfiel ein letztes Bild, das in sich linste.

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Montag, 7. Dezember 2015
Dreihunderteinundvierzig (Frühe, Getriebe, Geschiebe)

Die Ferne kommt daher auf Autoreifen
Der Horizont ist eine Bogensaite
Die Wege drehen sich zu gelben Schleifen

An Tafeln steht der Morgen angeschrieben
Im Tümpel dreht der Mond sich auf die Seite
Das Licht kommt nicht vom Flecke, stockt in Sieben

Die Steine werben mit Geschmack von Seifen
Gekrächz von Glas reißt Felle von der Weite
Wie Löwen hockt die Frühe vor den Reifen

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Sonntag, 6. Dezember 2015
Dreihundertvierzig (Umziehen)

Die Freunde wohnen schon. Sie stehen rum,
die Hände in den Taschen, fremdverwurzelt.
Sie halten alle Blicke fest zusammen.
Sie wohnen. Und wohnen ruhig in ihren Blicken,

wie eine Schnecke wohnt im eignen Haus.
Sie haben nichts zu fürchten von den rohen,
geleerten Wänden, nichts vom eignen Sprechen
wie es entstellt zu ihnen wiederhallt,

sie kennen sich und kehren immer wieder
zu sich zurück, in Einem Rand und und Mitte.
Sie scherzen, trinken Bier, als wärs im Freien,

als wär dies gar kein Haus. Sie werden schlafen
und wissen, wo. Ich nicke ihrem Nicken
und hab's nicht warm. Und muß mir Blicke leihen.

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Kommentare
Über Straßenbahnfahrten schreiben kann
auch nicht jeder ... (Das heißt. Könnte auch Bus sein.)
Lakritze, vor 9 Jahren
;)
wilhelm peter, vor 9 Jahren
April, April.
Lakritze, vor 9 Jahren
wer weiss
erkennt kalendarische kontexte
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Ah, stimmt. Da war
noch eins.
Solminore, vor 9 Jahren
Oh, mehr Baugrubenverse! Schön,
Ihre Distichen.
Lakritze, vor 9 Jahren
grosse gefühle tief gegründet Aus
dem stillen Raume Aus der Erde Grund Hebt sicht wie...
wilhelm peter, vor 9 Jahren
Lesezeichen. Baugrubenlyrik kannte
ich nicht. Mag ich.
Lakritze, vor 9 Jahren
das ist sehr sehr
schön.
don papp, vor 10 Jahren

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